Vor einem goldenen Zeitalter der Aktie?
ERNÜCHTERUNG
Das erste Jahrzehnt des neuen Jahrtausends geht für Aktionäre als ein verlorenes in die Geschichte ein. Für sie gab es im abgelaufenen Dezennium kaum etwas zu verdienen. Während selbst unter Einbezug von Dividenden die Schweizer Börse etwa auf dem Niveau von Ende 2000 steht, notieren die europäischen Aktienindizes markant unter dem damaligen Stand. Für Schweizer, die internatioal diversifizieren, kamen happige Währungsverluste dazu, die europäische und amerikanische Investitionen schwer belasteten.
Die Nerven der Aktienbesitzer wurden innerhalb von zehn Jahren sowohl mit dem Platzen der New-Economy-Blase als auch durch die jüngste Finanzmarktkrise erheblich strapaziert. Viele Anleger mussten gleich zweimal innerhalb von kurzer Frist zur Kenntnis nehmen, dass sich der Wert ihrer Beteiligungen nahezu halbiert hat. Eine solch zermürbende Zeit findet wohl erst, wer bis in die Dreissigerjahre zurückblättert. Es erstaunt deshalb kaum, dass sich viele Anleger desillusioniert vom Instrument Aktie verabschiedet und ihr Glück in alternativen Investments wie Immobilien, strukturierten Produkten oder Hedge Funds versucht haben.
Begünstigt wurde diese Tendenz durch fragwürdige Rechnungslegungsvorschriften für Banken und insbesondere Versicherungen. Illiquide Anlagen, für die es oft gar keinen Markt gibt und deren Risiken regelmässig sträflich unterschätzt werden, weil sie kaum messbar sind, wurden in den Portfolios institutioneller Anleger gegenüber transparenten und liquiden Aktien bevorzugt. Versicherer, die für eine langfristige Investmentpolitik prädestiniert wären, halten deshalb seit geraumer Zeit paradoxerweise kaum mehr Aktien. Dass jedoch die teilweise intransparenten und hochmargigen Innovationen nicht ungefährlich sind, wissen wir spätestens seit dem Kollaps milliardenschwerer Hypothekenprodukte, zahlreicher Hedge Funds, von Lehman sowie dem Auffliegen von Madoffs Schneeballsystem.
HISTORISCH HOHE RISIKOPRÄMIE
Genährt wird die Zurückhaltung gegenüber Aktien durch die eingetrübten Wirtschaftsperspektiven, die kaum Anlass zu Euphorie für die kommenden Jahre geben. Auch die hohen Schuldenberge der USA, aber auch zahlreicher europäischer Länder geben Anlass zu Besorgnis. Viele Marktbeobachter sind deshalb der Überzeugung, dass die Durststrecke für Aktionäre noch lange dauern wird.
Es gibt nun aber gute Gründe, die dafür sprechen, dass die Bären allmählich von den Bullen verdrängt werden. Das einfachste und vielleicht intuitiv überzeugendste Argument mag die Tatsache sein, dass es in den vergangenen hundert Jahren noch nie vorgekommen ist, dass die Gesamtrenditen (Kursgewinne plus Dividendenrendite) gut diversifizierter Aktienportfolios zwei Jahrzehnte hintereinander kumulativ betrachtet negativ ausfielen.
UNATTRAKTIVE ALTERNATIVEN
Zudem sind aus fundamentaler Sicht Aktien heute so billig wie selten zuvor. So beträgt das durchschnittliche Verhältnis von Kurs zu Gewinn (KGV) einer Aktie sowohl für den schweizerischen wie auch für die europäischen und die amerikanischen Märkte bescheidene 12 bis 14, was einer attraktiven Gewinnrendite von 7 bis 8% entspricht. Zu Beginn des zu Ende gehenden Jahrzehnts belief sich das KGV für den schweizerischen Aktienmarkt auf 21, was hohe Erwartungen implizierte, die, wie wir heute wissen, nicht erfüllt werden konnten.
Die Attraktivität von Aktien wird erst recht untermauert, wenn ihre Gewinnrendite mit derjenigen langfristiger Bundesobligationen verglichen wird. Vor zehn Jahren betrug der Satz zehnjähriger Eidgenossen 3,4%, verglichen mit einer nicht wesentlich höheren Gewinnrendite auf Aktien von 4,8%. Heute erscheint sogar das untere Band der Gewinnrendite von 7% im Vergleich zu langfristigen Obligationen, die bescheidene 1,5% Zins abwerfen, äusserst attraktiv. Die Risikoprämie respektive Mehr-verzinsung von Aktien gegenüber Obligationen ist damit innerhalb der letzten zehn Jahre von bescheidenen 1,4 auf lukrative 5,5 respektive 6,5% hochgeschnellt. Im historischen Kontext ist das rekordverdächtig. Unter diesem Aspekt ist es mehr als erstaunlich, dass die Anleger ihre Prioritäten nicht stärker von Festverzinslichen, wo sich möglicherweise eine neue Blase gebildet hat, auf Aktien verlagern. Auch Investoren in Immobilienanlagen werden sich die Frage stellen müssen, ob der Höhepunkt der Liegenschaftenpreise auch in der Schweiz mittlerweile überschritten ist. Rekordtiefe Zinsen schleusen seit einiger Zeit grosse Summen in dieses Segment, das in Bezug auf Risiken oft unterschätzt wird und zurzeit zumindest Spuren einer Überhitzung aufweist.
Zu einer optimistischen Einschätzung für Aktien muss auch kommen, wer die drei führenden Schweizer Industriekonzerne, die zusammen rund die Hälfte der Börsenkapitalisierung repräsentieren, in einen Langzeitvergleich stellt. Die global aktiven Nestlé, Novartis und Roche
«Die Chancen, dass Aktionäre im neuen Jahrzehnt für ihre Risiken wieder eine adäquate Rendite erzielen, sind gut.»
haben ihren Gewinn im Verlauf der letzten zehn Jahre verdoppelt bis verdreifacht, während ihre Aktien nur leicht gestiegen (Nestlé) oder sogar gefallen (Novartis, Roche) sind. Parallel zur markanten Gewinnsteigerung kam es in der Konsequenz zu einer erheblichen Kontraktion der Bewertung, ausgedrückt durch das KGV. Wurde vor zehn Jahren noch das 22-Fache des Gewinns für Novartis bezahlt, so erhält der Anleger den Titel heute gerade einmal für den zehnfachen Gewinn des Unternehmens.
TIEFE BEWERTUNG
Attraktiv sind auch die Dividendenrenditen. Nestlé schüttet 3, Novartis 3,7 und Roche sogar 4,1% aus. Ohne zusätzlich die Aussicht auf Kurssteigerungen zu haben, können Obligationäre mit hohem Anspruch an die Bonität der Schuldner von einer solchen Rendite nur träumen. Bei Letzteren besteht überdies das mittelfristig nicht unerhebliche Risiko, dass künftige Zinssteigerungen die Kurse purzeln lassen werden. Selbstverständlich bestehen weiterhin Unsicherheiten über die Konjunkturperspektiven, die das Potenzial der Aktien bremsen können.
Prognosen, die für die westlichen Industrienationen ein düsteres «Japanszenario» malen, sind aber verfehlt. Die Immobilienblase, die sich Ende der Achtzigerjahre im Land der aufgehenden Sonne gebildet hat, ist im Ausmass so wenig vergleichbar mit unseren heutigen Verhältnissen, wie es die Bewertungen der Aktien sind. Das durchschnittliche KGV betrug vor Ausbruch der Krise in Nippon gegen 80, weshalb die Gegenbewegung umso schmerzlicher ausfallen musste. Auch haben die Verantwortlichen unserer Unternehmen die Lehren aus zwei Krisen zumindest weitgehend gezogen. Schulden wurden abgebaut, Kosten gesenkt und die Wettbewerbsfähigkeit über eine höhere Effizienz gestärkt. Zusätzlich profitieren global agierende Konzerne in den kommenden Jahren vom überdurchschnittlichen Wachstum in den Schwellenmärkten wie China, Indien oder Brasilien.
ENDE DER DURSTSTRECKE
Die Bank Pictet errechnet für die Zeit von 1926 bis 2009 für Schweizer Aktien eine durchschnittliche Gesamtrendite von 7,8%. Für Aktionäre, die im vergangenen Jahrzehnt kein Geld verdient haben, mag das ein schlechter Trost sein. Interessant ist in diesem Zusammenhang die Tatsache, dass in den letzten 84 Jahren die längste Phase, in der Aktionäre auf nomineller Basis nichts verdient haben, zwölf Jahre dauerte. Sie umfasste die Zeit der Depression zwischen 1928 und 1940.
Auf realer Basis war die Durststrecke während der beiden Ölkrisen in der Zeit von 1969 bis 1984, als die Inflation zeitweise aus dem Ruder lief, für Anteilseigner noch länger. Das Risiko einer galoppierenden Inflation kann aus heutiger Sicht aber als gering bezeichnet werden. Insgesamt stehen deshalb die Chancen, dass die Aktionäre im neuen Jahrzehnt für ihre Risiken wieder eine adäquate Gesamtrendite von durchschnittlich 7% erzielen werden, sehr gut.
18. Dezember 2010
PRIMIN HOTZ
ist Gründer der Dr. Pirmin Hotz Vermögensverwaltungen in Baar. Die Firma hat 12 Mitarbeiter und betreut Private und Pensionskassen. Bei Hotz stiegen die verwalteten Vermögen um 12%.
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