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Verzerrte Wahrnehmung

Verzerrte Wahrnehmung

Immobilienanlagen Anlegerinnen und Anleger unterliegen einigen Selbsttäuschungen. Dabei wäre gerade im Vergleich zu Aktien mehr Realitätssinn bei Immobilieninvestments angebracht.

Die Anlageklasse der Immobilienanlagen ist die mit Abstand beliebteste in der Schweiz. Gemäss der Statistik der Schweizerischen Nationalbank (SNB) ist über die Hälfte des Reinvermögens der privaten Haushalte in Betongold investiert. Demgegenüber halten die Durchschnittsschweizer weniger als 10 Prozent ihres Vermögens in Aktien. Macht das Sinn?

Unterschätzte Kosten

Immobilien sind langfristig, nach Aktien, die zweitrentabelste Anlagekategorie. Allerdings ist der Abstand beträchtlich. Die Professoren der London Business School Elroy Dimson, Paul Marsh und Mike Staunton, haben im Jahr 2019 die langfristigen Renditen der wichtigsten Anlagekategorien errechnet. Für den Zeitraum von 1900 bis 2017 ermittelten sie für globale Aktien eine Realrendite von 5,2 Prozent. Im Vergleich dazu warfen Wohnimmobilien eine Realrendite von 2,4 Prozent ab, während US­Staatsanleihen teuerungsbereinigt 2 Prozent rentierten.

Die Preise von Immobilien wurden in den vergangenen Jahren und Jahrzehnten von einer historisch beispiellosen Zinssenkungsphase getrieben. Anhänger von Wohneigentum überschätzen deshalb das Renditepotenzial. Dazu kommt, dass viele Immobilienbesitzer die Unterhalts­ und Nebenkosten unterschätzen. Insbesondere einmalige und überraschend auftretende Aufwendungen fliessen ungenügend in die Renditeberechnung ein.

Die Rücklagen für Erneuerung und Sanierung werden ebenfalls unterschätzt. Wenn Immobilieninvestoren auf ihrer Liegenschaft 1 Prozent für Abschreibungen und Unterhalt zurückstellen, ist das viel zu wenig. Wer richtig rechnet, ist gut beraten, ein Gebäude innerhalb von vierzig Jahren abzuschreiben, was alleine jährliche Abschreibungen von 2,5 Prozent zur Folge hätte. Immobilienbesitzer sind auch Rechenkünstler. So beziehen viele die aktuellen Zinseinnahmen auf einen tiefen Anschaffungswert, der vor zehn, zwanzig oder dreissig Jahren zustande kam. Das ist ein billiger Taschenspielertrick. Schliesslich käme auch niemand auf die Idee, die aktuelle Dividende der Nestlé­Aktie, die 2,75 Franken beträgt, auf den vor vielen Jahren bezahlten Einstandswert von 20 Franken zu beziehen. Aus einer Marktrendite von rund 2,5 Prozent würde dann – schwuppdiwupp – eine Traumrendite von fast 14 Prozent.

«Richtig gerechnet ist die Miete häufig günstiger als der Kauf»

Irreführend ist auch, wenn die Rendite einer Liegenschaft ausschliesslich auf die eingesetzten Eigenmittel bezogen und so gehebelt wird. Fakt ist doch, dass auch das eingesetzte Fremdkapital als Risikokapital dient, weshalb die Rendite immer auf das gesamthaft eingesetzte Kapital zu beziehen ist. Jede andere Rechnung ist Schönfärberei und Selbstbetrug.

Anderseits werden die Risiken von Immobilienanlagen oft unterschätzt. Wenn für den Kauf eines Objekts 70 oder 80 Prozent Fremdmittel eingesetzt werden, sind gewaltige Hebeleffekte wirksam, die enorme Risiken implizieren. Sollte es aufgrund steigender Zinssätze einmal zu einer Abschwächung der Immobilienpreise kommen, könnte dies für Nervosität unter Investoren und kreditgebenden Banken sorgen. Dieselben Banker, die in guten Zeiten grosszügige Kreditlinien gewähren, werden dann nach einer Eintrübung der Grosswetterlage von ihren Kunden höhere Eigenmittel fordern.

Einbruch der 1990er Jahre vergessen

Es ist immer wieder erstaunlich festzustellen, dass sich Immobilienbesitzer mit einer Belehnung von 60 oder 70 Prozent als konservativ betrachten, währenddessen sie Anleger, die ihr Geld zu 100 Prozent eigenfinanziert in Aktien anlegen, als Hasardeure bezeichnen. Die amerikanischen Professoren Carmen Reinhart und Kenneth S. Rogoff haben in ihrem Bestseller («Dieses Mal ist alles anders – Acht Jahrhunderte Finanzkrisen», 2010) eindrücklich aufgezeigt, dass Immobilienblasen die häufigste Ursache von Finanzkrisen bilden. So war es sowohl in der Finanzkrise als auch Ende der 1980er Jahre in Japan. Die meisten Schweizer dürften wohl vergessen oder gar nicht erlebt haben, dass der hiesige Immobilienmarkt Anfang der 1990er Jahre um rund 40 Prozent eingebrochen ist. Selbst an besten Lagen stürzten die Preise ein und die Schweizer Banken schrieben die horrende Summe von 42 Milliarden Franken ab, weil ihre Hypothekenforderungen nicht mehr gedeckt waren.

Damals wie heute galten sinkende Immobilienpreise in der Schweiz quasi als undenkbar. Immobilienbesitzer unterschätzen die Preisrisiken, weil es für ihr Eigenheim keinen täglichen Marktpreis gibt, der sie nervös machen könnte. In Krisenzeiten ist exakt diese Illiquidität aber ein grosses Risiko. Die Erfahrung zeigt, dass Immobilienfonds und ­stiftungen oft über Nacht geschlossen werden müssen, da eine geordnete Abwicklung der Verkäufe nicht mehr gewährleistet werden kann.

Die Schweiz ist trotz tiefen Zinsen ein Volk von Mietern. Auch wenn die Wohnungs­ und Hauseigentümer es in einem Umfeld von historischen Niedrigzinsen anders sehen mögen: Richtig gerechnet ist die Miete oft günstiger als der Kauf. Diese Einsicht ist jedoch in Zeiten boomender Immobilienpreise nicht einfach zu vermitteln.


17. Juni 2021

Autor

Dr. Pirmin Hotz
Pirmin Hotz, Gründer und Inhaber Dr. Pirmin Hotz Vermögensverwaltungen, Baar


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