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Sollen Aktien jetzt abgesichert werden?

Zahlreiche Beobachter halten die Aktienmärkte momentan für überbewertet. Theoretisch können Aktienpositionen abgesichert werden. Aber Achtung: Wer kurzfristige Timing-Wetten eingeht, erliegt der Selbstüberschätzung.

Viele Aktienmärkte der Welt befinden sich nahe an oder auf Höchstständen. Zahlreiche Analysten, Anlagestrategen und Börsengurus beurteilen diese als überbewertet und rechnen, teilweise schon seit Jahren, mit einem Markteinbruch.

So raten sie den Investoren, Aktienrisiken abzusichern. Aber ist das wirklich auch sinnvoll?

Absichern lässt sich ein Aktienportfolio leicht durch den Einsatz von Index-Futures. Besitzt ein Anleger ein gut diversifiziertes Portfolio, kann er in entsprechender Höhe Futures verkaufen, um das Risiko auf seinen Aktien auszuschalten. Was er dann in Zukunft auf seinem Aktienportfolio verliert, wird er durch den Gewinn auf den Futures wettmachen – und umgekehrt, sollten die Aktien trotzdem weiter steigen. Faktisch hat ein Investor, der sein Aktienportfolio mit Futures absichert, seine Aktien verkauft.

Damit einher geht jedoch zwangsläufig ein Dilemma mit dem Timing: Denn wer weiss schon, wann eine Korrektur kommt?

Kurzfristige Prognosen sind Glückssache

Aktien sollten generell nur mit einer langfristigen Perspektive gekauft werden. Kurzfristige Prognosen über die Börsenentwicklung sind reine Glückssache und der Wunsch nach einem optimalen Timing eine Illusion. Und wer will darüber hinaus ausschliessen, dass nicht nur eine markante Korrektur an den Börsen möglich ist, sondern in Zeiten unsäglicher Negativzinsen auch eine weitere, möglicherweise sogar deutliche Aufwärtsbewegung?

Um es drastisch auszudrücken, und ohne dies natürlich zu erwarten: Selbst wenn sich die Aktienmärkte ab dem aktuellen Niveau nochmals verdoppeln sollten, läge die durchschnittliche Gewinnrendite der Unternehmen immer noch bei über 2,5% und die Dividendenrendite bei fast 1,5%. Das wäre immer noch attraktiver als das, was der notorische Pleitestaat Griechenland heute seinen Gläubigern bezahlt – ganz zu schweigen von den Negativrenditen auf schweizerischen Bundesobligationen.

Absichern lässt sich ein Aktienportfolio auch mit Verkaufsoptionen (Puts). Die Umsetzung ist nicht trivial und erfordert gewisse Fachkenntnisse. Was heisst es nun aber für den Investor, wenn er Put-Optionen einsetzt? Er kauft sich durch die Zahlung einer Prämie eine Versicherung für den Fall, dass seine Aktien in den Keller rauschen – also das Recht, seine Aktien jederzeit zu einem festgelegten Preis verkaufen zu dürfen. Gleichzeitig behält er die Chance, von weiteren Kursanstiegen zu profitieren.

Angesichts der hohen Unsicherheiten, die an Aktienmärkten naturgemäss herrschen, sind Versicherungen von Aktienrisiken aber sehr teuer. So teuer, dass die hohen Kosten die im Grunde attraktiven Aktienrenditen auf Dauer vernichten. Anders ausgedrückt: Anleger können nicht die Renditen von Aktien mit den Risiken von sicheren Obligationen erwarten. Weil darüber hinaus kein Anleger das ideale Timing kennt, ist auch die Absicherung mit Verkaufsoptionen in der Regel nicht sinnvoll.

Als dritte Variante bleibt der Einsatz von Stop-Loss-Limiten. So setzt man beispielsweise einen Verkaufsauftrag auf einem Kursniveau, welches 5 oder 10% unter dem aktuellen Stand der Börsen liegt. Vor Stop-Loss-Aufträgen ist jedoch zu warnen: Erstens geschieht es häufig, dass mit dem Auslösen der Limite die Aktien verkauft werden, danach die Kurse aber gleich wieder steigen. Was sollen Anleger dann tun? Auf höherem Niveau wieder einsteigen? Das ist ein Dilemma, das früher oder später zu fatalen Fehlentscheidungen führen wird.

Darüber hinaus verstehen wohl nur die wenigsten Anleger den Mechanismus des Stop-Loss. Wenn nämlich die Aktienkurse an einem Tag, beispielsweise nach einer Terrorattacke, dramatisch einbrechen, wird der Stop-Loss-Auftrag automatisch zu einem Bestens-Verkauf.

Risiko der Selbstüberschätzung

Folglich gibt es keine Garantie, dass bei Kursrückschlägen tatsächlich bei der gesetzten Limite verkauft wird. Der Verkauf kann in Extremsituationen zu deutlich tieferen Kursen erfolgen. Dies war beispielsweise der Fall, als die Schweizerische Nationalbank im Januar 2015 die Kursuntergrenze des Euro aufhob. Viele Anleger, die sich auf ihren Stop-Loss verlassen hatten, wurden auf dem falschen Fuss erwischt und mussten Verkaufskurse akzeptieren, die markant unter der Limite lagen.

Die meisten Anleger, die absichern – sei es mit Index-Futures, Put-Optionen oder Stop-Loss-Limiten –, sind in prozyklischer Weise dann am stärksten abgesichert, wenn die Aktienkurse im Keller sind. Sie verpassen danach mit hoher Wahrscheinlichkeit die Gegenbewegung, die plötzlich einsetzen wird und heftig ausfallen kann.

Daher: Wer Aktienanlagen kauft, sollte immer einen langfristigen Anlagehorizont haben. Die kurzfristige Absicherung von Kursrisiken ist nicht sinnvoll. Wer glaubt, er hätte eine verlässliche Prognosefähigkeit, im richtigen Moment Aktienrisiken abzusichern oder per Stop-Loss zu verkaufen, um danach zu tieferen Kursen wieder einzusteigen, leidet an Selbstüberschätzung und setzt auf den Faktor Glück.


19. November 2019

Autor

PIRMIN HOTZ
Pirmin Hotz ist Gründungspartner der Dr. Pirmin Hotz Vermögensverwaltungen, einem unabhängigen Asset Manager in Baar.


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