Lassen wir den Weltuntergang beiseite
Die Anleger sind unter historisch einmaligem Druck. Denn wer in schwankungsarme Franken-Anleihen guter Qualität anlegt, bekommt nicht nur nichts mehr, sondern bezahlt sogar 0,5 bis 1 Prozent für das Parkieren des Geldes.
Soll nur schon die Kaufkraft erhalten bleiben, verfehlt man das Ziel auf kolossale Weise: Unterstellt man Inflation, Verwaltungskosten und Steuern von insgesamt 1 Prozent, so schrumpft die reale Kaufkraft um gegen 2 Prozent pro Jahr. Wer sich mittels Anleihen mit zehnjähriger Laufzeit bindet, reduziert das Vermögen in dieser Zeitspanne faktisch von 100 auf rund 80.
Keine Rendite ohne Risiko
Was tun? Die meisten beginnen reflexartig zuerst damit, die Anlagestrategie zu hinterfragen. Zuerst sollten jedoch zwei andere Aspekte geprüft werden: Sollten erstens die Sparbeiträge erhöht werden, um das Sparziel sicher zu erreichen? Soll zweitens allenfalls das Sparziel, bei Pensionskassen also die angepeilte Rentenhöhe, gesenkt werden? Erst danach sollte die Anlagestrategie diskutiert werden.
Bei dieser Strategiediskussion geht gerne vergessen, dass nicht ausschlaggebend sein darf, welche Rendite man gerne hätte, sondern was man an Risiko tragen kann. Wenn sich die Risikofähigkeit einer Pensionskasse nicht verbessert hat, sollte das Anlagerisiko nicht wesentlich erhöht werden.
Weil dies sowohl die Verantwortlichen als auch die Berater wissen, scheut man oft die Diskussion, wie viel transparentes Risiko in Form diversifizierter, börsengehandelter und somit liquider Aktien man sich maximal leisten kann. Stattdessen wird die Diskussion oft auf alternative Anlagen gelenkt, um angeblich mehr Rendite bei gleichem Risiko zu erzielen. Indes sind Risiko und Rendite wie siamesische Zwillinge: Wird die Rendite höher, steigt auch das Risiko, allenfalls auf nicht einfach erkennbare Art.
Geringe Volatilität illiquider Anlagen täuscht
Infrastruktur, Private Equity, Private Debt und andere alternative Anlagen haben den gemeinsamen Makel der Illiquidität. Diese Anlagen werden nicht an einem Markt gehandelt und haben daher keinen aussagekräftigen Preis. Für die Bewertung muss man sich auf die Schätzungen des Verkäufers abstützen, der offenkundig den Anreiz hat, den Preis hoch anzusetzen und die Bewertung möglichst wenig schwanken zu lassen.
Wer die geringen Preisschwankungen als geringes Risiko oder Diversifikationspotenzial deutet, unterliegt einem Grundlagenirrtum: Dort, wo kein Markt für einen schwankenden, aber transparenten Preis sorgt, sind die Risiken besonders hoch. Man sieht sie in normalen Zeiten nur nicht.
Aktien lohnen sich langfristig immer
Eine ehrliche Strategiediskussion wird deshalb nicht um die Erkenntnis herumkommen, dass man eine Mehrrendite nicht ohne Risikoerhöhung erzielen kann.
Wenn man sich mehr Risiken leisten kann, ist man gut beraten, sich auf transparente und liquide Anlagen zu konzentrieren. So haben beispielsweise Aktien über Jahrzehnte ihre Ertragskraft eindrücklich bewiesen. Seit 1900 erzielten globale Aktien allen Krisen zum Trotz eine Realrendite von jährlich 5 Prozent.1 Aktien Schweiz warfen seit 1925 eine Realrendite von 5,5 Prozent ab (nominal 7,6 Prozent), bei einer Schwankungsintensität (Volatilität) von 19,9 Prozent.2
Was bei Strategiediskussionen gegen Aktien ins Feld geführt wird, ist meist das Risiko, das über die Zeit riesig sei. Dabei werden Grafiken wie diejenige in diesem Artikel ins Feld geführt, die den Raum von 99 Prozent der möglichen Aktienentwicklungen abbilden, hier über zehn Jahre.
Um die künftigen Chancen und Risiken von Anlagen abzuschätzen, ist die Grafik ungünstig. Die untere Begrenzung, die schon nach wenigen Jahren gegen null – also einen Totalverlust – tendiert, impliziert, dass beispielsweise Renditen des Finanzkrisenjahrs 2008 von minus 34 Prozent mehrfach hintereinander vorkommen. Theoretisch wäre dies möglich, aber dann haben mit Sicherheit nicht nur Aktienanlagen ein Problem, sondern alle Anlagen, weil etwas extrem Aussergewöhnliches (Krieg, Revolution, beginnende Verstaatlichung et cetera) vorgefallen sein muss.
Die Grafik sagt eigentlich nur aus, dass der Weltuntergang wahrscheinlicher wird, wenn man sehr lange wartet – und trotzdem bleibt er äusserst unwahrscheinlich.
Erwartete Rendite für Schweizer Aktien über zehn Jahre
Wenn man die Möglichkeit des Weltuntergangs zur Seite schiebt und schaut, was in der Praxis der letzten Jahrzehnte realisiert worden ist, zeigen Aktien Schweiz, dass ab einer Haltedauer von zehn Jahren negative Renditen unwahrscheinlich sind. Folglich ist es zentral, nur jenen Teil der Mittel in Aktien zu investieren, der langfristig investiert bleiben kann.
Fassen wir zusammen: Eine Renditeerhöhung ohne Risikoerhöhung ist reines Wunschdenken. Will man die Rendite erhöhen, sollte erstens die entsprechende Risikofähigkeit vorhanden sein und zweitens dieses Risikobudget für liquide und transparente Anlagen verwendet werden.
Strategie konsequent durchziehen
Wichtig ist ein weiterer Aspekt bei solchen risikoerhöhenden Strategiediskussionen: Die Strategie wird für alle Wetterlagen an den Börsen festgesetzt. Die Verantwortlichen müssen demzufolge das Standvermögen haben, auch bei einem Abschmelzen der Wertschwankungsreserve an der Strategie festzuhalten (siehe Kasten).
Das regulatorische Umfeld, in dem viele Berater aus Selbstschutz – aber zu Ungunsten des Kunden – eine prozyklische Reduktion der Aktien in Marktdellen verlangen, erschwert die Strategietreue. Dies ist bizarr, denn die Wertschwankungsreserve soll ja gerade Schutz in Dellen bieten und das langfristige Wohlergehen sicherstellen.
Nehmen wir zum Beispiel eine gesunde Pensionskasse mit einer Wertschwankungsreserve von 25 Prozent sowie einer Aktienquote von 45, einer Immobilienquote von 15 und Obligationen respektive Liquidität von 40 Prozent. In einer historisch schweren Krisenperiode
wie vom 1. Oktober 2007 bis zum 28. Februar 2009 würde deren Deckungsgrad bei periodischem Rebalancing von 125 auf 95 Prozent fallen. In einer solchen Situation muss die Strategie diszipliniert durchgesetzt werden, sonst ist es keine Strategie. Die historische Simulation zeigt, dass diese Pensionskasse bereits ein Quartal nach dem Tiefpunkt wieder einen Deckungsgrad von 100 Prozent aufweist und nach nur weiteren 12 Monaten mit 120 bis 125 Prozent, je nach Häufigkeit des Rebalancings, nahe beim Zielwert liegt. Und dies ohne Sanierungsmassnahmen.
Wenn aber jemand in einer solchen Situation den Mut und die Disziplin verliert und beispielsweise die Aktienquote auf 30 Prozent senkt (zugunsten der Obligationen), liegt dessen Deckungsgrad nach diesen 15 Monaten rund 10 Prozentpunkte tiefer.
Wer also liquide Anlagerisiken mittels Aktien oder auch Immobilien eingeht, profitiert langfristig davon. Er darf aber keinesfalls die Strategie zur Unzeit ändern. Deshalb sollte bei der Strategiediskussion nur mutig sein, wer auch über ein entsprechendes Polster in Form gut ausgestatteter Wertschwankungsreserven verfügt.
Dilemma der Wertschwankungsreserven
Die Wertschwankungsreserve ist eine zentrale Grösse, um die Risikofähigkeit einer Pensionskasse abzuschätzen. Die Kassen müssen jedoch mit dem Widerspruch korrekt umgehen, dass die Anlagestrategie nicht immer ihrer Risikofähigkeit entsprechen kann. Wird die Wertschwankungsreserve in ruhigen Marktphasen vollständig alimentiert, ist es normal, dass nach Marktverwerfungen die Reserve (teils) aufgezehrt ist. Die Reserve wurde ja eigens dafür angelegt. Die dann geringe Reserve automatisch als Auslöser einer risikoreduzierenden Strategieanpassung zu interpretieren, ist nicht zweckmässig und schadet den langfristigen Interessen der Destinatäre. Es muss jedoch alles daran gesetzt werden, die Reserve so rasch wie möglich wieder zu alimentieren.
Dr. Thomas Hauser
Dr. Pirmin Hotz Vermögensverwaltungen AG
- Alternative Anlagen
- Diversifikation
- Antizyklisch
- Langfristig
- Dimson Elroy et al.: Global Investment Returns Yearbook. Credit Suisse. 2019, Seite 37.
- Daten der Bank Pictet zu Schweizer Obligationen und Aktien.