Plädoyer für aktives Anlegen
Indexprodukte erfreuen sich unter Investoren grosser Beliebtheit. Die Zinswende hat die Risiken des passiven Anlegens jedoch schonungslos aufgedeckt. Aktive Investoren haben die Zügel in der Hand.
Wer als konservativer Anleger seine Frankenobligationen mit einem Exchange Traded Fund (ETF) auf den SBI AAA-BBB-Obligationenindex abdeckt, hielt bis Ende März 2022 nicht nur qualitativ hochwertige Anleihen der Eidgenossenschaft, sondern auch zahlreiche russische Schuldpapiere von Gazprom und Russian Railways. Erst nachdem die Ratingagenturen die Noten der betreffenden Schuldner von Anlagequalität auf «Ramsch» degradiert hatten und der Schaden längst angerichtet war, wurden die fast wertlosen Obligationen aus dem Index gekippt. Ob sich die Anleger dieser Risiken bewusst waren?
Indexprodukte sind geeignet, um Wertschriftenvermögen diversifiziert und kostengünstig anzulegen. Auch steht ausser Frage, dass passive Anlageprodukte in der langen Frist besser rentieren als die meisten aktiv gemanagten Pendants. Nachdem der Zinstrend gedreht hat, dürfte sich jedoch bei indexorientierten ETF-Investoren Ernüchterung breitmachen. Besonders Obligationenanleger reiben sich die Augen, weil sich ihre Verluste auf ähnlich hohem Niveau bewegen wie diejenigen von Aktienbesitzern.
Steigende Zinsen haben zum grössten Obligationencrash seit Jahrzehnten geführt. Sie wirken sich für passive Investoren verheerend aus, weil sich ihre Duration, welche das Zinsänderungsrisiko beschreibt, im Laufe der Jahre in prozyklischer Weise markant erhöht hat. Konkret haben sich die Duration und damit die durchschnittliche Laufzeit der Anleihen im SBI AAA-BBB-Index seit der Finanzkrise 2008 von rund 5 auf 8 ausgeweitet - das entspricht einer Erhöhung des Zinsänderungsrisikos um über die Hälfte.
Auf dem falschen Fuss erwischt
Was ist passiert? Die Schuldner haben das historische Niedrigzinsumfeld der vergangenen Jahre geschickt genutzt, um die Laufzeiten ihrer Verbindlichkeiten zu verlängern. Besonders bei staatlichen Institutionen ist es Mode geworden, 15-, 20-, 50- oder sogar 100-jährige Obligationen zu emittieren, um die niedrigen Zinsen langfristig anzubinden. Die Folgen dieser Durationsverlängerung für Anleger sind offenkundig: Festverzinsliche Indexfonds sind im Kontext des Zinsanstiegs bis zu 25% eingebrochen. Das Schlimme für indexorientierte Anleger ist, dass ihre Verluste aufgrund der markant erhöhten Duration oft höher ausfallen als die Gewinne, die sie während der langen Phase von Zinssenkungen mit tieferer Duration erwirtschaftet haben.
Wenn sich das Zinsänderungsrisiko von Obligationen-ETF im Lauf der Jahre über die Hälfte erhöht, sind passive Investoren offensichtlich gar nicht so passiv, wie sie selber meinen. Im Gegenteil: Sie sind höchst aktiv, nur werden ihre aktiven Entscheide zur Veränderung des Zinsrisikos paradoxerweise nicht etwa von ihnen als Gläubiger selbst, sondern von den Schuldnern respektive ihrem «Säckelmeister» gefällt. Diese haben ein Interesse, während Hochzinsphasen möglichst kurze und in Niedrigzinsphasen möglichst lange Laufzeiten zu emittieren - das ist exakt das Gegenteil dessen, was sich Anleger im Grunde genommen wünschen würden.
Das führt zwangsläufig zu einem prozyklischen Anlageverhalten indexorientierter Anleger, mit den entsprechenden Auswirkungen auf die Performance. So haben Schweizer Investoren, die ihre internationalen Anleihen mit einem ETF auf den Bloomberg Global Aggregate Index abdecken, der auch in 100-jährige österreichische Staatsanleihen investiert, seit dem 2020 erreichten Höchst über 16% verloren - die Investoren wurden mit rekordhoher Duration auf dem falschen Fuss erwischt. Eine prozyklische Erhöhung ihrer Risiken mussten indexorientiere Obligationenbesitzer auch bei der Qualität hinnehmen. Extreme Niedrigzinsen haben die Kreditaufnahme und das Überleben im Grunde zahlungsunfähiger Staaten und Unternehmen gefördert. Dies hat zu einer schleichenden Verschlechterung der Bonitätsstruktur in den Obligationenindizes geführt, von der passive Anleger im Kontext steigender Risikoprämien voll getroffen wurden.
So befanden sich im Bloomberg Global Aggregate Index nicht nur hochriskante russische Anleihen. Vor vier Jahren hat Bloomberg entschieden, Anleihen aus China in den Index aufzunehmen - eine aktive Entscheidung, von der passive Indexinvestoren leidvoll betroffen sind, denn Schuldpapiere chinesischer Immobiliengesellschaften wie Shimao Group oder Sino Ocean Land mutierten zwischenzeitlich zu Sanierungsfällen. Fragwürdig an internationalen Obligationenindizes ist ausserdem, dass darin ausgerechnet die Schuldenkönige - die USA und Japan - das grösste Gewicht erhalten, weil die Gewichtung der Indizes absurderweise nach der Höhe der Schulden erfolgt.
Eine eisige Bise weht auch für indexorientierte Aktieninvestoren. Wer konsequent passiv anlegt, hat zwangsläufig ein prozyklisches Klumpenrisiko in amerikanischen Aktien, die über 60% der Weltmarktkapitalisierung stellen. Im US-Index S&P 500 wiederum repräsentierten Alphabet, Amazon, Apple, Meta, Microsoft und Tesla zu Beginn des Jahres 2022 ein kumuliertes Gewicht von 25%. Der darauffolgende Absturz vieler heissgelaufener Technologiewerte hat entsprechend schmerzvolle Auswirkungen auf die Performance passiver Anleger. Auch der Schweizer Aktienmarkt impliziert mit den Indexschwergewichten Nestlé, Novartis und Roche inhärente Klumpenrisiken, die sich potenziell als Bumerang erweisen können. Aus Gründen der Diversifikation ist es deshalb für Investoren ratsam, eine tendenzielle Gleichgewichtung der Titel im Portfolio anzustreben, statt passiv und prozyklisch nach Marktkapitalisierung zu investieren.
Wenn das Gegenteil viel besser ist
Die Prozyklizität von Indizes zeigt sich am Beispiel von ExxonMobil: Ende August 2020 wurden die Aktien des amerikanischen Ölkonzerns aus dem Dow Jones verbannt und durch die des Softwareunternehmens Salesforce ersetzt. Es wäre der perfekte Zeitpunkt für Investoren gewesen, das Gegenteil zu machen - während sich der Kurs von ExxonMobil seither verdreifacht hat, hat sich derjenige der Salesforce-Aktien in der Zwischenzeit ungefähr halbiert.
Dass passives Anlegen geradezu absurde Züge annehmen kann, zeigt der japanische Nikkei. Wie der amerikanische Dow Jones repräsentiert er einen reinen Preisindex, weshalb nicht etwa Unternehmen mit der höchsten Kapitalisierung, sondern diejenigen mit dem höchsten Aktienkurs das grösste Gewicht besitzen. Mit der Konsequenz, dass dem Bekleidungseinzelhändler Fast Retailing mit über 10% das mit Abstand grösste Indexgewicht zukommt - nach Kapitalisierung wäre ein Anteil von weniger als 2% gerechtfertigt.
Wer im Zuge der Zinswende antizyklisch auf erstklassige Obligationenschuldner mit kurzer bis mittlerer Laufzeit setzte, bei Aktien ein Schwergewicht auf niedrig bewertete Substanzaktien legte und auf Klumpenrisiken sowie Titel zockender Banken wie Credit Suisse verzichtete, konnte sich der Börsenbaisse weitgehend entziehen. Die Umsetzung der Portfoliopolitik erfolgt deshalb am besten aktiv und mit kostengünstigen sowie qualitativ erstklassigen Direktanlagen.
Passive Anleger sind den Klumpenrisiken der Indizes, den Entscheidungen der Indexanbieter und den Eigeninteressen der Schuldner, die nach ihrem Gusto Anleihen emittieren, machtlos ausgesetzt. Sie werden, in vollem Bewusstsein oder auch nicht, prozyklisch von der «Gegenseite» gesteuert. Wer die Risiken selbst steuern und nicht mit der Herde gehen will, entscheidet eigenmächtig, wie angelegt wird. Aktive Investoren sitzen im «Driver Seat».
Dr. Pirmin Hotz
ist Gründer und Inhaber der Dr. Pirmin Hotz Vermögensverwaltungen AG mit Sitz in Baar
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