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Paradigmenwechsel in der Finanzmarkttheorie?

Der Beitrag von Magne Orgland und Daniel Leveau von Wegelin & Co (vgl. FuW Nr. 39 vom 17. Mai) geht der brisanten Frage nach, inwieweit das nobelpreisgekrönte Gedankengut der modernen Finanzmarkttheorie überholt ist. Sie kommen zum interessanten Schluss, dass diese Frage bejaht werden kann und damit ein Paradigmenwechsel stattfindet. Die Konsequenzen wären von fundamentaler Bedeutung für die Praxis.

Auf einen einfachen Nenner gebracht implizieren sie, dass zumindest einige Anlageexperten in hohem Masse befähigt sind, verlässliche Prognosen zu machen und damit systematisch beeindruckende Überrenditen zu erzielen. Anhand ihrer eigenen Berechnungen kommen die Autoren zum Schluss, dass mit ihrem Modell seit dem Jahr 2001 eine Überrendite von jährlich 9,4% im Vergleich zum Weltindex (inwieweit das die richtige Benchmark ist, soll hier nicht vertieft werden) Tatsache geworden ist, und untermauern damit ihren Paradigmenwechsel.

Die Autoren stellen bei ihrer Argumentation Thesen in den Raum, die nicht unkritisch übernommen werden dürfen. Bevor die bahnbrechenden Erkenntnisse der Professoren Markowitz, Sharpe oder Fama mit einem Federstrich in die Mottenkiste verbannt werden, sollte man sich ihre zentralen Inhaltspunkte unverzerrt bewusst machen. Die moderne Portfoliotheorie baut im Kern auf der These der Markteffizienz von Fama auf, die besagt, dass zu einem bestimmten Zeitpunkt alle öffentlich verfügbaren Informationen in den Kursen von Wertpapieren enthalten sind.

Weniger Preisverzerrungen
Wenn diese Erkenntnisse vor zwanzig, dreissig oder vierzig Jahren Gültigkeit hatten, so ist dies heute erst recht der Fall. Die Globalisierung und die schnelle Verbreitung von Informationen rund um den Erdball über Fernsehen, Zeitungen und Internet sorgen dafür, dass Informationsvorteile einzelner Anleger in der modernen Welt noch verstärkter zur Illusion geworden sind. Heerscharen von Analysten, die weltweit und täglich eine Unzahl von Wertpapieren untersuchen, haben diesen Trend zusätzlich beschleunigt. Experten und Händler von Banken bestätigen das.
Die klassische Arbitrage, also das risikolose Ausnützen von Ineffizienzen respektive von objektiv feststellbaren Preisverzerrungen, ist aus deren Vokabular verschwunden. Wenn Händler unter dem alten A-la-crié-System noch risikolos von Preisunterschieden zwischen zwei Börsenplätzen profitieren konnten, ist das aus heutiger Sicht mit den transparenten elektronischen Handelssystemen gerade noch Nostalgie. Ohne das Eingehen von Risiken geht heute gar nichts mehr.

Markowitz zeigte schon vor Jahrzehnten, dass wegen der Effizienz der Märkte gefolgert werden muss, dass die systematische (also nicht zufällige) Erzielung einer Überrendite nicht möglich ist. Wenn sich nun die Effizienz der Märkte aufgrund der noch schnelleren und dank der verschärfte Publizitätspflichten noch transparenteren Informationsverbreitung weiter erhöht hat, liegt auf der Hand, dass auch die Prognostizierbarkeit der Märkte alles andere als einfacher geworden ist.

Liquide Märkte sind effizient
Die Erkenntnisse aus der Praxis untermauern diese Tatsache. Nur ganz wenige aktive Fondsmanager erreichen oder schlagen über einen längeren Zeitraum den entsprechenden Vergleichsmassstab (Benchmark). Überrenditen werden allenfalls kurzfristig und eher zufällig erzielt. Selbstverständlich ist es richtig, dass es Anomalien gibt, die mit der reinen Kapitalmarkttheorie nicht erklärt werden können (der Autor des vorliegenden Artikels hat sie in den Achtzigerjahren in seiner Promotionsarbeit beschrieben). Dazu gehören beispielsweise der Small Firm Effect, der von Rolf Banz entdeckt wurde, oder gewisse Saisonalitätseffekte wie der January Effect. Daraus zu schliessen, dass die Märkte nicht effizient sind, wäre aber falsch, wie nachstehend gezeigt werden kann. Und selbst die richtige Einschätzung, dass es auch ineffiziente Märkte gibt, führt zu einer falschen Schlussfolgerung.

Entscheidend ist nämlich, dass liquide Märkte (also beispielsweise der Handel in sogenannten Blue Chips, in Indizes, in Rohstoffen oder in marktbreiten Zinsderivaten) sehr informationseffizient und damit faktisch unprognostizierbar sind. Ineffizienzen ergeben sich primär dort, wo die Liquidität des Handels nicht gegeben ist (beispielsweise bei Nebenwerten, Immobilien, Wald oder Kunst). Die Entwicklungen der letzten Monate und Jahre haben aufgezeigt, dass das sogenannte Alpha – also die zu erzielende Überrendite – nicht selten auf Kosten der Liquidität und unter Inkaufnahme eines hohen Hebeleffekts der enthaltenen Anlagen erzielt wurde. Dabei handelt es sich aber um eine künstlich aufgebaute Überrendite, die sich beim Verkauf der Papiere in Luft auflöst.

Überrenditen oft Zufall
Der Kollaps von Hedge Funds wie LTCM, Amaranth oder Carlyle, die über eine gewisse Zeit beeindruckende Überrenditen produziert haben, bezeugt das. Dasselbe Schicksal ereilte in den vergangenen Monaten auch renommierte Banken. In der naiven Auffassung, mit Kreditderivaten «risikolose» Arbitrage zu erzielen, verzeichnen sie nun stattdessen Milliardenverluste in nie dagewesenem Ausmass. Sie haben sich im grossen Stil in ineffizienten Märkten engagiert und geglaubt, dass sie darin Informationsvorteile ausnützen könnten. Das war temporär auch tatsächlich der Fall.
In der Tat erkauften sich die Banken diese Überrendite aber mit der Illiquidität der zugrundeliegenden Positionen, die nun zum Bumerang respektive zum Albtraum wurde. In der Konklusion ist die Schlussfolgerung banal. Entweder wird in liquide Anlageformen investiert, und man hat zu akzeptieren, dass es keine Informationsvorteile und wohl auch keine systematischen Überrenditen gibt. Oder aber man investiert in illiquide Anlageformen, die entsprechend ineffizient sind.
Eine Art selbsterfüllende Vorhersageführt dann zu temporären Überrenditen, die jedoch trügerisch sind. In diesem Fall hat man nämlich zu akzeptieren, dass Überrenditen im Zeitpunkt des Verkaufs schnell einmal zu (erheblichen) Unterrenditen mutieren können. Das mussten schon die Anhänger der New Economy am Ende des letzten Jahrtausends schmerzlich erfahren, als sie ihre Positionen nur noch zu Schleuderpreisen loswurden.

Magne Orgland und Daniel Leveau werden den Vertretern der modernen Finanzmarkttheorie auch in anderen zentralen Aspekten nicht gerecht. So haben Letztere nie behauptet, dass Anleger keine Fehler begehen würden oder sogar die Zukunft prognostizieren könnten. Wie hier gezeigt wurde, ist gerade das Gegenteil dessen der Fall. Auch die Aussage, dass die hohe Risikoprämie von Aktien oder die hohe Volatilität an den Börsen nicht mit der – nach Ansicht von Orgland und Leveau – «alten» Theorie erklärt werden könne, ist frei erfunden.

Zyklen wird es immer geben
Hohe Marktschwankungen gab es auch schon in früheren Zeiten. Es sei nur an die Weltwirtschaftskrise in den Dreissigerjahren, die Kubakrise in den Sechzigerjahren, die Erdölkrise in den Siebzigerjahren oder auch an den Crash im Oktober 1987 erinnert. Daran hat sich seither nichts geändert. Auch der Hinweis, der Random Walk sei mit Hausse und Baisse nicht vereinbar, ist falsch. Es ist völlig selbstverständlich, dass es solche Zyklen gibt und auch immer gegeben hat.

Die moderne Finanzmarkttheorie sagt dazu nur, dass diese Zyklen im Vornherein nicht prognostizierbar sind. Dasselbe gilt im Übrigen auch für den Hinweis auf das Kurs-Gewinn-Verhältnis (KGV). Entgegen der Aussage der Autoren gibt es keinen Hinweis aus der modernen Portfoliotheorie, der besagen würde, dass das KGV 14 betragen solle. Vielmehr schwankt dieser Wert erheblich in Abhängigkeit der Erwartungshaltung der Investoren. Wenn sie in der Summe ängstlich sind, sinkt das KGV, wenn sie optimistisch sind, steigt es entsprechend.

Schliesslich muss auch die Aussage korrigiert werden, dass gemäss Portfoliotheorie alle Anleger dieselben fixen und richtigen Einschätzungen haben und letztlich alle die gleiche Rendite prognostizieren würden. Selbstverständlich unterscheiden sich schon gemäss der modernen Finanzmarkttheorie die Erwartungen der Anleger in erheblichem Masse. Alles andere wäre eine irreale Utopie. Die Summe dieser unterschiedlichen Markterwartungen bildet schliesslich über Angebot und Nachfrage den Preis der Wertpapiere. Kernpunkt der Theorie ist allerdings im Gegensatz zu den Aussagen der Autoren, dass es keine Hinweise dafür gibt, dass die Prognosen der einen Marktteilnehmer systematisch besser sind als diejenigen der anderen.

Bescheidenheit angebracht
Eigentlich wäre es der Traum von uns allen, endlich den Stein des Waisen zu finden, die Kapitalmarkttheorien revolutionieren und die künftige Börsenentwicklung möglichst sicher voraussagen zu können. Der Hinweis auf die Leistungen eines Albert Einstein ist verlockend und mutig zugleich. Allerdings wäre – gerade nach den schmerzlichen Erfahrungen der jüngsten Entwicklungen in der Banken- und Finanzwelt – etwas mehr Bescheidenheit gefragt. Es ist nämlich noch nicht lange her, dass ebenfalls ein vermeintlicher Paradigmenwechsel erkannt wurde.

Die Vertreter der New Economy verkündeten grossmundig, dass das Investieren in etablierte Unternehmen uninteressant geworden sei und der Kauf junger Technologieunternehmen ein absolutes Muss und von hohen Überrenditen begleitet sei. Der Absturz war schmerzhaft, als die Träume platzten. Ähnliches erleben wir seit einigen Jahren im Umfeld alternativer Anlagen wie Hedge Funds. Die Renditeversprechungen intransparenter Innovationskünstler, die hohe absolute Renditen unabhängig von Hausse und Baisse an den Finanzmärkten ankündigten, haben sich oft in Luft aufgelöst.

Es ist nur ehrlich, die Grenzen der eigenen Prognosefähigkeit zu erkennen und zu akzeptieren. Systematische Überrenditen sozusagen als Free Lunch sind und bleiben eine Illusion. Das hat die Bankenwelt gerade eben wieder bitter erfahren müssen, als sich die temporären Überrenditen in der Finanzkrise schlagartig in ernüchternde Unterrenditen verkehrt haben. Renditen von Wertpapieren werden durch die Produktivität von Unternehmen und ihren Mitarbeitern generiert, nicht durch die Prognosekompetenz noch so schlauer Finanzexperten. Deren Kompetenz äussert sich primär in der Art und der Professionalität, wie sie ihre Kunden qualitätsorientiert, risikogerecht, transparent und kosteneffizient betreuen.

Mutig und ehrlich sein
Wegen des Herdentriebs der Investoren gibt es Überreaktionen an den Finanzmärkten. Antizyklisches Anlegen in begrenztem Masse kann deshalb durchaus eine erfolgversprechende, aktive Politik sein. Die Kernthesen der modernen Portfoliotheorie bleiben aber auf jeden Fall gültig – wegen der immer schnelleren, globalen Informationsverbreitung sogar mehr denn je. Auch wenn die Erklärungsansätze der Nobelpreisträger schon Jahrzehnte alt sind, bleibt uns Praktikern keine andere Wahl, als sie zu akzeptieren.

Anstelle eines geforderten vermeintlichen Paradigmenwechsels ist deshalb der Rat, zu einer einfachen, transparenten und selbst für Laien nachvollziehbaren Anlagepolitik zurückzukehren, mutig und ehrlich zugleich. Die Anlegerlegende Warren Buffett praktiziert diese Grundsätze seit Jahrzehnten mit grossem Erfolg. Sein im Grunde banales Rezept basiert auf Investitionen mit erstklassiger Qualität und solider Diversifikation. Wenn diese einfachen Prinzipien konsequent befolgt und umgesetzt werden, erzielt man zwar keine systematischen Über- oder Traumrenditen, schlägt jedoch die meisten derjenigen Anlageexperten um Längen, die dauernd dem Ei des Kolumbus hinterherrennen.


7. Juni 2008

Autoren

PRIMIN HOTZ
ist Gründer der Dr. Pirmin Hotz Vermögensverwaltungen in Baar. Die Firma hat 12 Mitarbeiter und betreut Private und Pensionskassen. Bei Hotz stiegen die verwalteten Vermögen um 12%.


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