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Nachhaltige Anlagen als Marketing-Gag

Nachhaltige Anlagen als Marketing-Gag

Die Umwelt dauerhaft zu schonen, ist Aufgabe von Gesellschaft, Politik und Technologie. Das als «nachhaltig» etikettierte Investieren trägt jedoch kaum etwas dazu bei.

Wer Gutes tun und das ESG-Rating seiner Vermögensanlagen verbessern will, wird sich zwei Fragen stellen. Erstens: Was sind überhaupt nachhaltige Anlagen? Zweitens: Welche Wirkung auf Umwelt (E – Environmental), Soziales (S – Social) und die Unternehmensführung (G – Governance) haben sie?

Nach der Reaktorkatastrophe in Fukushima im Jahr 2011 waren sich die Regierungen in der Schweiz und in Deutschland schnell einig: Kernkraftwerke seien nicht nachhaltig und müssten so rasch wie möglich abgeschaltet werden. Im Zuge des Kriegs in der Ukraine wird nun argumentiert, Atomstrom sei CO₂-schonend und nachhaltig, weil er unsere energetische Unabhängigkeit gegenüber ausländischen Despoten gewährleiste. Auf dem Höhepunkt der Pandemie vor gut zwei Jahren war der Preis für ein Fass Rohöl unter null gesackt, und als «Dreckschleudern» betitelte Ölaktien wie BP, Exxon oder Shell wurden zu Ausverkaufspreisen aus den Portfolios geworfen.

Explodierende Öl- und Energiepreise, Lieferkettenprobleme sowie die Tatsache, dass diese Gesellschaften grosse Anstrengungen unternehmen, um ihre Investitionen in erneuerbare Energien zu erhöhen, haben zwischenzeitlich zu einem Umdenken geführt. Plötzlich ist nicht mehr von einem «Business im Untergang», sondern von einem «Business im Übergang» die Rede. In der EU gelten Erdgas und Kernkraft neuerdings als «grün». Selbst die Aktien des bis vor kurzem verpönten Rüstungskonzerns Rheinmetall gelten seit der Ankündigung des deutschen Kanzlers Olaf Scholz, die Bundeswehr mit 100 Mrd. Euro aufzurüsten, für einige als nachhaltige Anlage, weil sie der Friedenssicherung diene.

Die Frage, was nachhaltige Anlagen sind, ist seriös und vor allem objektiv nicht zu beantworten. Wird der Fokus auf das «E» ausgerichtet, können Coca-Cola, Lindt & Sprüngli oder McDonald’s als nachhaltig qualifiziert werden. Wird der Akzent hingegen auf das «S» gelegt, lassen sich die drei Unternehmen ebenso gut als potenzielle «Fettmacher» disqualifizieren. Pharmaunternehmen mögen aus ökologischer Sicht nachhaltig operieren, doch wie verhält es sich mit Tierversuchen oder dem Einsatz der Gentechnologie? Gross- und Privatbanken erfreuen sich in Nachhaltigkeitsfonds erheblicher Beliebtheit. Wenn aber bei einigen Finanzinstituten primär die Verluste nachhaltig sind und sie regelmässig Skandalen ausgesetzt sind, häufig verklagt und zu Bussen in Milliardenhöhe verurteilt werden, kann man aus Sicht des «G» getrost zu einem anderen Urteil gelangen.

«Was als nachhaltig bewertet wird und was nicht, ist subjektiv und beliebig.»

Dr. Pirmin Hotz

Widersprüchliche Rating-Einschätzungen

Wer nachhaltig investiert, stützt seine Anlageentscheide in der Regel auf die Einstufungen der führenden Ratingagenturen ab. Helfen diese weiter? Zwei Studien renommierter Forscher geben eine desillusionierende Antwort. Die Professoren Elroy Dimson, Paul Marsh und Mike Staunton von der London Business School veröffentlichten im Jahr 2020 im «Credit Suisse Global Investment Returns Yearbook» eine Studie, die aufzeigt, dass so gut wie keine Übereinstimmung zwischen den Nachhaltigkeitsratings von MSCI und Sustainalytics besteht. Untersucht wurden 878 US-Unternehmen. Die Forscher Florian Berg, Julian F. Kölbel und Roberto Rigobon vom amerikanischen MIT untersuchten die Einstufungen der Ratingagenturen MSCI, S&P Global, Moody’s ESG, Sustainalytics, Refinitiv und KLD anhand von 934 Unternehmen. Auch sie kommen zum Schluss, dass es so gut wie keine Übereinstimmung gibt.

Warum ist das so? Ganz einfach: Was als nachhaltig bewertet wird und was nicht, ist subjektiv und beliebig. Nur so lässt sich erklären, dass das grüne Vorzeigeunternehmen Tesla im vergangenen Mai unter anderem wegen schlechter Arbeitsbedingungen und Rassismusvorwürfen aus dem S&P 500 ESG Index geworfen wurde. Der Indexanbieter hat offenkundig die Akzente verlagert.

Abspaltungen verschlechtern das Klima

Investoren haben grundsätzlich zwei Möglichkeiten, nachhaltigen Zielen Rechnung zu tragen. Erstens können sie Aktien von «Sündenunternehmen» aus ihren Portfolios kippen und sie gegen Titel nachhaltig bewerteter Unternehmen eintauschen. Damit verbessert sich das Klima allerdings kaum, denn die Aktien landen durch den Verkauf einfach in Portfolios anderer Investoren – die Aktien und die Umweltsünden beispielsweise eines Rohstoffkonzerns lösen sich durch den Verkauf nicht in Luft auf. Zweitens können Investoren darauf hoffen, dass ein von ihnen gehaltenes «Sündenunternehmen» seine Klimabilanz verbessert. Auch dieser Weg führt oft in die Irre, wie ein Research-Paper der Oxford-Professoren John Armour, Luca Enriques und Thom Wetzer vom Juni 2022 aufzeigt. Zwar würden immer mehr Konzerne ihre schmutzigen Geschäfte abspalten und verkaufen, um ihre Ökobilanz aufzupeppen, aber mit fatalen Konsequenzen. Nachdem Energieriesen wie Anglo American, BP, ConocoPhillips, Exxon oder Shell ihr schmutziges Geschäft abgespalten und an private Investoren verkauft hatten, seien die CO₂-Emissionen förmlich in die Höhe geschossen, weil private Unternehmen gerade in unterentwickelten Ländern ihre Drecksgeschäfte abgeschottet von der medialen Öffentlichkeit weiterbetreiben könnten.

Der Baustoffproduzent Holcim hat sein problematisches Indien-Geschäft veräussert und so die CO₂-Bilanz schlagartig 25% verbessert. Käufer ist der indische Multimilliardär Gautam Adani, der alles andere als einen grünen Fussabdruck hat. Im schlimmsten Fall lassen private Investoren die dreckigen Unternehmensteile ohne jegliche Sanierungsmassnahmen in den Konkurs gehen, sobald die Anlagen heruntergewirtschaftet sind. Was nützt es dann am Ende, wenn sich das Rating der in Nachhaltigkeitsfonds vertretenen Unternehmen verbessert und sich deren Investoren wohlfühlen, gleichzeitig sich aber die weltweite Klimabilanz verschlechtert?

In Deutschland ermitteln die Staatsanwaltschaft, die Finanzmarktaufsicht Bafin und die amerikanische SEC gegen die Fondsgesellschaft DWS, eine Tochtergesellschaft der Deutschen Bank. Es besteht der Verdacht auf Greenwashing. Aufgrund der Vorwürfe haben die Verantwortlichen der DWS das als nachhaltig veröffentlichte Anlagevermögen zwischenzeitlich 75% reduziert. Das sagt alles über die Verlogenheit nachhaltiger Produkte. Gemäss Swiss Sustainable Finance wurden in der Schweiz im Jahr 2011 insgesamt 41,2 Mrd. Fr. nachhaltig verwaltet. Bis 2021 hat sich die Summe auf 1982,7 Mrd. Fr. fast verfünfzigfacht – ein Grossteil dürfte grün gewaschen worden sein, denn gemäss Falko Paetzold, Professor der Universität Zürich, würden all diese nachhaltigen Anlageprodukte keine messbare Veränderung in der Umwelt herbeiführen.

Eine nachhaltige Verbesserung der Umwelt muss von der Gesellschaft und der Politik getragen werden sowie von einem technologischen Wandel begleitet sein. Das geht wohl kaum, ohne in Form einer CO₂-Steuer einen Preis dafür zu bezahlen. Nicht nachhaltige Unternehmen werden im harten Wettbewerb automatisch aus dem Markt ausscheiden. Wer aber glaubt, die Umweltsünden am Boden, in der Luft und im Wasser würden sich durch den Kauf eines Nachhaltigkeitsfonds quasi in Luft auflösen, betrügt sich selbst. «Nachhaltige» Produkte geben den Käufern ein gutes Gefühl und beruhigen ihr Gewissen, vor allem sind sie aber ein Marketing-Gag, der Banken und Datenanbietern wie MSCI die Kassen füllt.


Finanz und Wirtschaft
13. August 2022

Autor

Dr. Pirmin Hotz
ist Gründer und Inhaber der Dr. Pirmin Hotz Vermögensverwaltungen AG mit Sitz in Baar


Kategorien
  • Alternative Anlagen
  • Nachhaltigkeit