KI als Wunderwaffe beim Anlegen
Künstliche Intelligenz wird zunehmend auch in der Vermögensanlage eingesetzt. Die Erwartungen der Investoren und die Fallhöhe jedoch sind hoch.
Künstliche Intelligenz (KI) erlebt seit einiger Zeit einen Boom. Sie wird unser Leben in Zukunft zunehmend begleiten, etwa für medizinische Diagnosen, beim automatisierten Fahren, in der Betrugsbekämpfung sowie im Einsatz von Suchmaschinen, Sprachassistenten und Navigationssystemen. Es stellt sich die Frage: Revolutioniert KI auch die Welt der Vermögensanlage, und was taugt sie als Prognoseinstrument für die Börse?
Viele Investoren träumen davon, dass ihnen ein Chatbot die Entwicklung von Aktienkursen, der Zinsen oder des Dollarkurses voraussagen kann. Wer sich mit der Prognostizierbarkeit von Börsenkursen beschäftigt, wird an der Frage nicht vorbeikommen, wie effizient liquide Kapitalmärkte sind, respektive wie rasch sich neue Informationen in die Kurse einarbeiten. Schliesslich können Prognosen nur dann systematisch - also nicht rein zufällig - erfolgreich sein, wenn der «Prophet» über Wissen und Informationen verfügt, die sich noch nicht in den Börsenkursen niedergeschlagen haben.
In der seriösen Finanzmarktforschung gibt es spätestens seit der Verleihung der Nobelpreise an die Wissenschaftler Harry Markowitz und Eugene Fama keinen Zweifel mehr, dass zumindest die liquiden Aktien- und Obligationenmärkte sehr effizient sind. Neue Informationen über die Unternehmens-, Zins- und Währungsentwicklung rasen in einer hochtechnisierten und vernetzten Welt in Sekundenbruchteilen über den Erdball und schlagen sich in Windeseile in den Kursen nieder.
Es ist deshalb kein Zufall, dass es auch den weltweit führenden Geldhäusern, die über ein hochqualifiziertes Analystenheer verfügen, nicht gelingt, mit ihren aktiven Fonds systematisch Überrenditen zu erzielen. Alle bisherigen Erfahrungen zeigen, dass diese desillusionierende Erkenntnis auch für noch so leistungsfähige Chatbots gültig ist. Bis die Suchanfrage zur Auswirkung eines Fed-Zinsentscheids auf den Dollarkurs oder des frisch publizierten Unternehmensergebnisses von Novartis auf deren Aktienkurs den Chatbot erreicht hat, sind die Informationen längst in den Kursen eingepreist.
«KI wird nie bessere Ratschläge abgeben als die Menschen, die sie füttern.»
Hochfrequenzhändler nutzen KI schon
Es mag sein, dass in extrem kurzen Zeitbereichen von Millisekunden oder Sekunden, in denen neue Informationen über den Erdball rasen und sich in die Börsenkurse einarbeiten, die Märkte nicht vollständig effizient sind. In dieser für Menschen kaum wahrnehmbaren Frist versuchen hoch qualifizierte Informatiker, Mathematiker und Physiker des High Frequency Trading (HFT) mit ausgeklügelter und hochkomplexer Programme respektive Strategien Informationsvorsprünge auszunützen. Damit werden im Grunde die verbleibenden Ineffizienzen aus den Kapitalmärkten herausgekratzt. Das ist nur mithilfe riesiger Datenmengen (Big Data) und selbstlernenden Hochleistungscomputern (Machine Learning) zu schaffen. Auf diese Weise werden Muster und Korrelationen der Börsen analysiert, bei denen die Wahrscheinlichkeit hoch ist, dass ein kurzfristiger Trend prognostiziert werden kann.
Weiss der Computer zum Beispiel aus den Vergangenheitsdaten, dass die Wahrscheinlichkeit für einen kurzfristigen Kursanstieg des Goldes gross ist, wenn der amerikanische S&P 500 aufgrund einer Konjunkturwarnung fällt und gleichzeitig der Dollar zur Schwäche neigt, versucht er, das auszunutzen.
Die Chance, dass in der nächsten Sekunde der Goldpreis tatsächlich als Reaktion darauf steigt, ist dann vielleicht 60 oder 65%, während mit einer Wahrscheinlichkeit von 35 oder 40% der Goldpreis sinken wird. Bei Tausenden von solchen oder ähnlichen Transaktionen verdient ein weltweit führender Hochfrequenzhändler am Ende des Tages Geld. Streng genommen gibt es KI zur Prognose von Börsenkursen deshalb schon längst.
Kein Chatbot dieser Welt wird nun aber Börsenkurse auf einen Zeithorizont von Wochen, Monaten und schon gar nicht einem Jahr prognostizieren können. Bis der Nutzer seine Anfrage an den Roboter gestellt hat, ist jede Information längst in den Börsenkursen eskomptiert. Folglich werden weder private noch institutionelle Investoren in Zukunft mit einer auch noch so ausgeklügelten KI die Börsenkurse voraussagen können.
Der Wert von KI in der Vermögensanlage liegt somit nicht in der Prognose von Börsenkursen, sondern in der Informationsbeschaffung, der Strukturierung von Portfolios und der gezielten Selektion von Aktien oder Obligationen. Analog zu Robo-Advise-Konzepten können Investoren individuelle Präferenzen sowie die gewünschte Qualität und das Risiko ihrer Anlagen vorgeben sowie Einschränkungen oder Ausschlüsse definieren.
Dass KI dem Anleger eine optimale Empfehlung abgeben kann, setzt aber voraus, dass dieser dem Chatbot die richtigen Fragen stellt. Stellt der Nutzer unpräzise oder irreführende Fragen, besteht die Gefahr, dass er Empfehlungen erhält, die seinen Interessen zuwiderlaufen. KI wird niemals bessere Empfehlungen abgeben können als die Menschen, die sie füttern. Die Erfahrungen, die mit Robo-Advisor gemacht wurden, zeigen, dass die Bäume nicht in den Himmel wachsen. So ist sowohl das Volumen wie auch das Wachstum der durch Roboter verwalteten Gelder bis heute überschaubar.
Eine miserable Psychologin
KI sammelt umfassende Informationen aus Zeitungsartikeln, wissenschaftlichen Fachbeiträgen und Büchern. Notabene darin lauern aber auch die Gefahren. Nicht selten sind diese nämlich geprägt von Autoren, die ihre eigenen Interessen über diejenigen der potenziellen Nutzer stellen. KI wird in gewissen Texten schwerlich erkennen können, ob es sich um eine wissenschaftlich fundierte Meinung, ein Gefälligkeitsgutachten eines «gekauften» Wissenschaftlers oder eines Marketingartisten einer Bank handelt, der den Produktverkaufszielen seines Chefs genügen muss.
Erst recht fragwürdig wird der Nutzen von KI, wenn die Anbieter von Chatbots mit Werbegeldern finanziert werden. In diesem Fall besteht die Gefahr, dass der Chatbot mit Priorität hochmargige, komplexe, intransparente und kundenunfreundliche Produkte empfiehlt - die Empfehlung ist dann höchstens noch künstlich, aber mit Sicherheit nicht mehr intelligent. Dazu kommt, dass der Nutzer von KI die Schuld im Falle einer Fehlberatung keinem menschlichen Wesen zuschieben und sich bei diesem beschweren kann. Ein Chatbot nimmt den Ärger seines «Kunden» emotionslos zur Kenntnis.
Vertrauen bleibt wichtigste Währung
Die wichtigste Währung im Anlagegeschäft ist das Vertrauen. Dieses wird im persönlichen Gespräch aufgebaut und gibt dem Anleger die Chance, seinem menschlichen Berater in die Augen zu schauen, dessen Seriosität und Ehrlichkeit zu testen und mit ihm über seine Vorlieben, Ängste und Sorgen zu sprechen. Je nachdem, ob am Börsenhimmel gerade die Sonne lacht, ein Gewitter herrscht oder eine Scheidung ansteht, kann die Stimmung des Anlegers rasch ändern. Empathisch und mit Verständnis darauf zu reagieren, bleibt auch einem noch so ausgeklügelten Chatbot verwehrt. KI ist eine miserable Psychologin.
Das Wissen von KI ist zwar übermenschlich, aber im Gegensatz zu menschlichen Wesen kennt KI keine Moral. Ehrlichkeit, auf das Individuum zugeschnittene Kompetenz, persönliches Einfühlungsvermögen und Vertrauenswürdigkeit können nur Menschen mit Herz, Seele und Leidenschaft bieten. KI kann als Werkzeug nützlich sein, sie wird den menschlichen Berater aber niemals ersetzen.
Dr. Pirmin Hotz
ist Gründer und Inhaber der Dr. Pirmin Hotz Vermögensverwaltungen AG mit Sitz in Baar
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