«Ein selten gutes Börsenjahr»
Vermögensverwalter Pirmin Hotz über Anlageerfolg, Glück und Problemfälle wie Nestlé und Swatch.
War 2024 ein gutes Börsenjahr?
Pirmin Hotz: Ein selten gutes Jahr, würde ich sagen. Stetig steigende Kurse, keine grösseren Rückschläge, keine Krisen und Skandale à la Credit Suisse – für unsere Kunden und für uns war es ein Sonnenjahr. Ich nehme an, ihr Journalisten hättet euch etwas mehr Spektakel gewünscht.
Wir hatten Donald Trump. Macht er Ihnen Sorgen?
Mehr in politischer als in börsentechnischer Hinsicht. Aber klar, mit Donald Trump kommt in Amerika ein sehr unberechenbarer Mann an die Macht. Und Unsicherheit ist schlecht für das Börsenklima, zumal wir gerade zwei Superjahre hinter uns haben. Ich rechne 2025 mit deutlich grösseren Kursschwankungen.
Wie bereiten Sie sich vor auf die Achterbahnfahrt?
Gar nicht. Die Vermögen unserer Kunden bestehen erstens aus soliden Aktien, zweitens, mit grossem Abstand, aus guten Immobilien und drittens, zur Glättung von Wertschwankungen, aus sicheren Obligationen. Je nach Marktsituation verschieben wir die Gewichte etwas, um opportunistisch die Performance zu steigern.
Wie geht das praktisch?
Zum Beispiel haben wir im vergangenen Jahr bei vielen Kunden etwas Aktien verkauft und die darauf realisierten Gewinne in Obligationen gesteckt. Wenn es 2025 zu Kursrückschlägen kommen sollte, werden wir das Gegenteil machen – Aktien kaufen, Obligationen verkaufen.
Würden Sie uns Ihren Ansatz in der Selektion von Aktien erklären?
Wir diversifizieren unser Aktienportfolio nach Branchen. So erreichen wir auch die gewünschte geografische Risikostreuung. Das geht sehr gut mit multinationalen Schweizer Konzernen. Deshalb sind gut ein Drittel der von uns gehaltenen Aktien Schweizer Titel. Knapp zwei Drittel sind ausländische Titel – ausschliesslich aus demokratischen Industrieländern. Je nach Vermögen halten unsere Kunden zwischen 35 und 60 verschiedene Aktien.
Wie wählen Sie diese Titel aus?
Wir kaufen die bewährten, globalen Marktführer in ihren jeweiligen Branchen. So stösst man auf Titel wie Nestlé, Unilever, Johnson & Johnson, Roche, Novartis und so weiter. Hinter dieser Titelselektion steht unsere Erkenntnis, dass niemand in der Lage ist, in tieferen Schichten systematisch weisse Trüffel zu finden.
Nestlé ist gerade dabei, den Ruf eines globalen Champions zu verlieren. Bei Ihnen auch?
Die Performance von Nestlé ist sehr enttäuschend. Die Strategie des früheren Konzernchefs Mark Schneider ist gescheitert. Unter ihm wurden Investitionen getätigt, die schlichtweg nicht funktioniert haben. Das Management hat – nicht zuletzt, um dem Finanzmarkt zu gefallen – margenschwache Geschäftsbereiche abgestossen und dafür margenstarke Geschäfte eingekauft. Das war eine Fehlüberlegung.
Inwiefern?
Akquisitionen im Bereich der funktionalen, medizinischen Ernährung zum Beispiel kosten ein Vielfaches von dem, was Nestlé aus dem Verkauf des tiefmargigen Fertigpizza-Geschäftes lösen konnte. Wenn man diese Geschäfte austauschen will, ohne Wert zu vernichten, muss der Preis auf beiden Seiten stimmen. Das war nicht der Fall. Man hat Geschäfte mit viel Umsatz und weniger Gewinn als erhofft gegen Geschäfte mit wenig Umsatz und viel Gewinn getauscht und unter dem Strich für weniger Umsatz auch weniger Gewinn erhalten.
Werden Sie trotzdem an Nestlé festhalten?
Ja. Ich bin überzeugt, dass die Firma diese Krise meistern wird. Aber die Aktien haben ihren Ruf als Witwen- und Waisen-Aktien natürlich verloren.
War dieser Ruf der Nestlé-Aktien als quasi risikolose Aktien jemals gerechtfertigt?
Nein. Aktienkapital ist Risikokapital und Aktionäre tragen naturgemäss hohe Risiken. Aber die Nestlé-Aktien haben früher mehr Vertrauen verdient als andere Titel. Allerdings kam es in der Coronakrise zu heftigen Übertreibungen. Da kauften viele Nestlé-Aktien in der Erwartung, dass die hohe Dividende ein Ersatz für tiefverzinsliche Obligationen sein könne. Das war stumpfsinnig. Immerhin wissen jetzt alle wieder, dass auch Nestlé-Aktien Risikopapiere sind.
Was muss passieren, bis Sie Nestlé aus den Portefeuilles Ihrer Kunden entfernen?
Eine solche Entscheidung treffen wir, wenn das Vertrauen weg ist und das Risiko eines Unterganges ein Ausmass annimmt, das wir nicht mehr tragen wollen. Davon sind wir im Fall von Nestlé aber noch weit entfernt.
Kann es auch andere Gründe geben, dass Sie eine Aktie verkaufen? Swatch Group zum Beispiel ist eine grosse Enttäuschung.
Die Konzernführung unter Nick Hayek ist leider nicht aktionärsfreundlich. Oft sehe ich, wie Fragen von Journalisten und Investoren nicht ernst genommen werden. Das ist ärgerlich. Aber in der Bilanz des Konzerns stecken grosse Schätze. Der Konzern besitzt viele sehr wertvolle Immobilien. Die Passivseite der Bilanz besteht fast nur aus Eigenkapital. Eigentlich würden die Swatch-Group-Aktien von der Substanz her perfekt zu uns passen. Aber mir scheint, als täte man alles, um die Investoren zu verjagen.
Sie müssen sich ja nicht verjagen lassen.
Es besteht die Gefahr, dass die Aktie von der Konzernführung so schlechtgeredet wird, bis es sich für die Familie lohnt, die Firma ganz zu übernehmen und die Aktien von der Börse zu nehmen. Wir sind schon sehr lange Aktionäre bei Swatch Group und haben, wie viele andere auch, die Kursrückgänge der vergangenen Jahre voll mitgemacht. Träte das beschriebene Szenario ein, würden diese Buchverluste über Nacht zu realen Verlusten. Das ist unser grösstes Risiko mit Swatch Group.
«Die Konzernführung unter Nick Hayek ist leider nicht aktionärsfreundlich.»
Zurück zu Nestlé & Co: Könnte es sein, dass Manager lieber Deals machen, als bestehende Geschäfte fit zu trimmen?
Diesen Verdacht hege ich auch. Ich vermute, dass es in jeder Managergeneration Leute gibt, die einen starken Drang haben, in die Geschichte einzugehen und den grossen Wurf zu landen. Aber es ist fast ein Naturgesetz, dass derartige Würfe mit ebenso vielen Risiken wie Chancen verbunden sind.
Sie haben uns vor einem Jahr erklärt, dass Sie sich vor zehn Jahren von allen Automobil- und Bankaktien verabschiedet haben. Gibt es ein Szenario, bei dem UBS und andere Bankaktien wieder in Ihre Auswahl kommen könnten?
Ich halte es hier mit renommierten Wissenschaftern wie Anat Admati, Simon Johnson oder Martin Heller: Alle fordern 20 Prozent harte Eigenmittel. Das ist etwa das Vierfache dessen, was die UBS aktuell ausweist. Wenn die Regulierung in diese Richtung gehen würde, könnten Banken auch grosse Schocks wie die Finanzkrise überstehen.
Müssten sie nicht jetzt schon in der Lage dazu sein?
Doch, die Finanzkrise ist ja schon 15 Jahre her. Aber die Credit Suisse war so schwach, dass sie sogar in einer Hochphase untergehen konnte. Stellen Sie sich eine Krise vor, in der die Börsen um 40 oder 50 Prozent oder mehr abstürzen, was es in der Geschichte immer wieder gegeben hat. Das sind die Krisen, die Banken überstehen müssen, damit sie keine Gefahr mehr für die ganze Volkswirtschaft und die Finanzstabilität darstellen. Es ist viel zu einfach zu behaupten, der Untergang der Credit Suisse sei einfach ein Vertrauensproblem gewesen. Vertrauen, Eigenkapital, Liquidität, das gehört alles zusammen. Also, die UBS macht gerade einen guten Job. Aber bis diese Aktien für uns wieder ein Thema werden können, muss bei den Kapitalvorschriften massiv etwas passieren. Ich glaube nicht, dass ich das noch erleben werde.
Vermögensverwalter wie Sie reden gern vom langfristigen Erfolg. Immer kommt dann die Statistik, nach der Aktien in den vergangenen 100 Jahren um durchschnittlich 7 bis 9 Prozent pro Jahr an Wert gewonnen haben. Warum glauben Sie, dass das so weitergeht?
Wenn Sie glauben, die Aktienkurse würden in den kommenden 50 Jahren nicht mehr so steigen, dass die Investoren für ihr Risiko entschädigt werden, dann gibt es diese marktwirtschaftliche Welt, in der wir gerade leben, nicht mehr. Vielleicht leben wir dann in einem Staat, in dem es kein Privateigentum mehr gibt. Das ist für mich eine ganz schlimme Vorstellung.
Aber vielleicht reicht ja schon ein 10- oder 15-jähriger Unterbruch des Aktienbooms, bis gewisse Paradigmen ins Wanken geraten.
Solche Unterbrüche, auch in dieser Länge, hat es in den vergangenen 100 Jahren tatsächlich gegeben. Aber danach ging es wieder steil aufwärts. Wir Menschen wollen produktiv und erfinderisch sein. Unternehmen generieren und akkumulieren produktives Kapital, erzielen Gewinne, schütten Dividenden aus und so weiter. Darum müssen Aktienkurse in der Welt, in der ich leben will, immer weiter steigen.
Aber Sie selbst haben eine 15-jährige Stagnationsphase nie erlebt. Hatten Sie einfach das Glück der späten Geburt?
Stopp! Ich habe 1986 als Vermögensverwalter angefangen. 1987 erlebte ich den ersten Crash: Minus 22 Prozent an einem Tag. Ich hatte gerade ein neues Telekursgerät gekauft und als ich draufschaute, dachte ich zuerst: Verdammt, das Ding ist neu und schon futsch. 1990 folgte die Irak-Krise: wieder minus 22 Prozent. 1994 die Tequila-Krise in Mexiko. 1998 die Russland-Krise: minus 20 Prozent. Ab 2001 platzte die Dotcomblase, die Aktienpreise halbierten sich bis 2003. 2007 bis 2009 kam es wieder zu einer Halbierung der Kurse. Zweimal eine Halbierung der Kurse innerhalb eines Jahrzehnts, das hat es noch gar nie gegeben. Und vergessen wir nicht die Coronakrise: Der SMI fiel innert Wochen um über 25 Prozent.