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«Jahr mit grossen Schwankungen»

2010 wird schwieriger werden. Doch die unabhängigen Vermögensverwalter André Kistler und Pirmin Hotz empfehlen, den Aktienanteil im Depot hoch zu halten

NZZ am Sonntag: Wo lagen Sie mit Ihren Prognosen 2009 richtig und wo falsch?
Andre Kistler: 2009 ist fast lehrbuchmässig abgelaufen. Investiere, wenn Lagerhaltung, Einkauf-Manager Index, Konsumentenvertrauen und Preis-Buch-Verhältnisse Tiefststände zeigen. Im Einklang mit den rabenschwarzen Konjunkturdaten erreichte die Furcht der Anleger im März ihren Höhepunkt, Aktienmärkte und Zinsen sackten auf Tiefststände. Wir haben die entscheidenden Trends richtig vorausgesagt, die grosse Wirksamkeit der Konjunkturpakete hat uns aber überrascht. In Zeiten von Angst und Panik Aktien nicht nur zu halten, sondern zuzukaufen, ist trotz den klaren Signalen die grösste Herausforderung.
Pirmin Hotz: Nach dem kaskaden-förmigen Kurssturz 2008 haben wir 2009 antizyklisch den Aktienanteil erhöht. Nicht erwartet haben wir die beschleunigte, von Panik getriebene Fortsetzung der Abwärtsspirale im 1. Quartal, bevor die längst ersehnte Gegenbewegung einsetzte.

Wie haben Ihre Schweizer Kunden in einem Depot mit mittlerer Risikofähigkeit (Balanced Portfolio) abgeschnitten?
Hotz: Gemischte Portfolios von Schweizer Kunden haben im vergangenen Jahr um durchschnittlich 16% zugelegt.
Kistler: Unsere Franken-Depots mit einer neutralen Aktienquote von 50% erzielten nach Abzug aller Kosten eine Rendite von 12% bis 16%.

Welches sind 2010 die grossen Trends?
Kistler: Die Welt ist von anhaltenden und notwendigen Strukturanpassungen geprägt, es gibt kein besseres Regulativ als den Markt. 2010 wird ein Jahr der Bereinigungen. Also ein Jahr mit grossen Schwankungen, mit bunter Abfolge von positiven und negativen Überraschungen. Grosse Umkehrprozesse dauern immer länger, als uns lieb ist. 2010 wird keine neuen grossen Trends aufzeigen, aber es wird die Basis für neue Trends gelegt. Die neuen Antriebskräfte sind noch immer die alten, die Globalisierung wird über die nächsten Jahre enorme Kräfte frei-setzen. Das Internet und die Technologisierung ermöglichen rasche und kluge Anpassung von Strukturen und Prozessen.
Hotz: Im Brennpunkt stehen die Themen Inflation versus Deflation, die ausufernde Staatsverschuldung sowie die Nachhaltigkeit der wirtschaftlichen Erholung nach Auslaufen der gewaltigen staatlichen Stimulierungspakete. Zudem wollen durch die Finanzkrise geläuterte Anleger wieder verstehen, was in ihren Portfolios liegt. Die Zeit der nur durch Provision getriebenen Verkäufer ist vorbei.

Sehen Sie irgendwo bereits wieder Übertreibungen?
Kistler: Nein. Die letzte Baisse liegt vielen Anlegern noch immer schwer auf, überall werden neue Blasen befürchtet. Für uns ist die herrschende Vorsicht ein gutes Omen! Folgenschwere Übertreibungen und Blasen entstehen erst, wenn Sorglosigkeit oder gar Euphorie das Geschehen beherrschen.
Hotz: Übertreibungen gibt es bei den Immobilienfonds. Es ist nur eine Frage der Zeit, bis die heisse Luft der exorbitanten Aufschläge von bis zu 25% im Vergleich zu den realistischen Bewertungen verdampfen wird. Auch bei Obligationen gibt es Übertreibungen, weil die Zinssätze kaum mehr sinken können. Im Wachstumsmarkt China besteht sowohl im Immobilien- wie im Aktienmarkt eine Blase, die früher oder später platzen wird.

Viele Anleger haben die Aktien Erholung seit März 2009 verpasst. Was raten Sie denen?
Hotz: Diesen Anlegern rate ich mit Nachdruck, zukünftig eine langfristige, solide und mit ruhiger Hand geführte Anlagepolitik zu pflegen. Nur wer in Börsenkrisen die Nerven nicht verliert und an einem langfristigen Konzept festhält, wird nachhaltig Erfolg haben. Nach den starken Kursavancen empfehle ich diesen unglücklich agierenden Anlegern, gestaffelt wieder zu Aktien zurückzukehren, um das Risiko des Einstiegszeitpunktes zu glätten.
Kistler: Das Kurspotenzial über einen Zeitraum von 3 Jahren ist mit über 50% äusserst attraktiv! Wir sehen vier wesentliche Treiber: das tiefe Zinsniveau, steigende Unternehmensgewinne, Globalisierungseffekte sowie die rekordhohe Liquidität. Längere wirtschaftliche Stagnation ist für uns nicht das wahrscheinlichste Szenario, aber das grösste Risiko. Für den vorsichtigen Anleger ist es deshalb unabdingbar, die deflationären Risiken mittels nachhaltiger Erträge abzusichern. Wir setzten den Fokus auf erstklassige Unternehmen mit hoher nachhaltiger Dividende.

Etliche Experten glauben, dass das Aktien-Rally noch bis Mitte dieses Jahres laufe – Sie auch?
Kistler: Das Risiko einer signifikanten Korrektur nach dem fulminanten Rally ist bereits heute deutlich gestiegen. Als langfristige Investoren raten wir dennoch zum stufenweisen Aufbau von Aktien.
Hotz: Die Erfahrung zeigt, dass kurzfristige Prognosen der Experten – auch auf ein Jahr – nichts taugen. Die Tatsache, dass die Bewertung der Aktien moderat, die Gewinnentwicklung vieler Unternehmen positiv und die Dividendenrenditen insbesondere im Vergleich zu Festzinsanlagen attraktiv sind, lässt uns aber insgesamt optimistisch ins neue Jahr blicken. Auch sollten sich Anleger vor Augen halten, dass Aktien, die in der Baisse gegen 60% ihrer Höchstwerte verloren und sich nun von ihren Tiefstständen um 50% erholt haben, immer noch um 40% unter den Höchstständen notieren. Das ist der Basiseffekt, den selbst viele Fachleute unterschätzen.

Stehen wir vor einer neuen Anlagewelt, in der man viel flexibler, dynamischer operieren muss?
Kistler: Nein, die Anlagewelt hat sich nicht grundsätzlich verändert. Derjenige mit dem grössten Wissen tätigt die besten Anlagen. Die aktive, substanzwertorientierte Buy-and-hold-Strategie hat sich in den letzten zehn Jahren mit hohen Realrenditen ausbezahlt. «Kaufe tief und verkaufe hoch» ist Teil dieser Strategie. Der wertorientierte Investor erhöht seine Engagements in Phasen schlechter Konjunktur und günstiger Unternehmensbewertungen – und umgekehrt.
Hotz: Es ist absurd, festzustellen, dass viele Gurus nach dem Schock der Finanzkrise wieder einmal von Paradigmenwechsel sprechen. All diese Experten streuen den Anlegern Sand in die Augen. Es wäre an der Zeit, dass die Exponenten der durchgeschüttelten Finanzbranche bescheidener würden. Nicht zuletzt aus kommissionsgetriebenem Eigeninteresse waren viele Verwalter schon immer sehr aktiv und dynamisch – meistens aber erfolglos. Aktive Vermögensverwaltung wird nur dann nützen, wenn sie gebührenschonend, antizyklisch und vor allem gezielt bei Übertreibungen eingesetzt wird. Einfache Marktverhältnisse gab es übrigens noch nie.

Wie sieht die Aufteilung nach Anlageklassen bei Ihnen für einen Anleger mit mittlerer Risikofähigkeit und längerem Anlagehorizont aus?
Hotz: Jeweils 50% des Depotwertes sind in Aktien und Obligationen angelegt. Unser Fokus bei den Aktien liegt bei erstklassigen Standard- und Nebenwerten, die in der Regel international ausgerichtet sind. Die Ländergewichtung nimmt dabei in einer globalisierten Welt zugunsten eines Branchen-Ansatzes an Bedeutung ab. Die Obligationen sind primär in der Referenzwährung des Anlegers investiert und verfügen über eine relativ kurze Restlaufzeit.
Kistler: Aktien 50%, Obligationen 43%, Liquidität 7%, andere 0%.

«Grosse Umkehrprozesse dauern länger. 2010 wird keine neuen Trends aufzeigen, legt aber die Basis für neue Trends.»

Welches ist Ihre Aktienstrategie, und setzen Sie dabei auch vermehrt auf Schwellenländer?
Kistler: Wir stufen die deflationären Kräfte klar stärker ein als die Inflationsgefahren. Die Finanzkrise ist noch nicht überwunden. Strategisch befinden wir uns dennoch in einer bevorzugten Situation. Die Rezession liegt grossenteils hinter uns, der nächste grosse Zyklus ist ein Aufwärtstrend. Das kommende konjunkturelle Wachstum wird zwar ruppig ausfallen und das Vor-Krisen-Niveau nicht erreichen, aber es wird sich als sehr nachhaltig erweisen. Tiefe Zinsen und leicht anziehende Konjunkturdaten bilden den günstigen wirtschaftlichen Rahmen für die nächsten fünf bis zehn Jahre. Dank den globalisierten Firmen können wir am hohen Wachstum der Schwellenländer teilnehmen, ohne uns den politischen Risiken dieser oftmals unstabilen Volkswirtschaften zu stark auszusetzen.
Hotz: Wir verfolgen einen Branchen-Ansatz, der auf Unternehmen ausgerichtet ist, die in ihrem Segment zu den Marktführern gehören, ein überzeugendes Management haben, nachhaltig erfolgreich sind und günstig bewertet werden. Dabei setzen wir konsequent auf kostengünstige Einzelanlagen, die wir nahe einer Gleichgewichtung diversifizieren. Auf Anlagen in Schwellenländer verzichten wir deshalb, weil diese oft mit grossen politischen Unsicherheiten und exzessiven Gebühren bei den Anlagen verbunden sind. Mit international ausgerichteten Unternehmen aus entwickelten Ländern, die auch in den aufstrebenden Märkten vertreten sind, profitieren wir mit tieferen Risiken ebenso vom Potenzial in diesen Ländern.

«Übertreibungen gibt es bei Immobilienfonds. Es ist eine Frage der Zeit, bis die heisse Luft der Aufschläge verdampft.»

Viele Vermögensverwalter haben zum ersten Mal einen grösseren Anteil von Gold in den Kundendepots – Sie auch?
Kistler: Ende 2005 legten wir für unsere Kunden je 1 bis 2 Kilo Gold als strategische Beimischung ins Depot. Ebenso zählen Rohstoff- und Ölaktien zu den Kernanlagen.
Hotz: Nein, Gold ist eine Modeerscheinung und hat in unseren Depots eine vernachlässigbare Bedeutung. Die langfristige Wertentwicklung von Gold ist katastrophal. Bereits vor 30 Jahren stand der Preis pro Kilogramm in Franken höher als heute. Gegen das Halten von Gold in kleinerem Umfang und als Krisenschutz ist aber nichts einzuwenden.

Wann werden die Zinsen steigen?
Hotz: Wir erwarten, dass die US-Notenbank spätestens im 3. Quartal die Leitzinsen erhöhen wird. Europa wird verzögert folgen. Die Kapitalmarktzinsen werden diese Entwicklung aber vermutlich schon im Verlauf des ersten Halbjahres vorwegnehmen.
Kistler: Nicht so bald, und dann höchstens um 50 bis 100 Basispunkte! Die Gefahr steigender Zinsen wird überschätzt. Die riesigen Schuldenberge der Industrienationen können nur durch höhere Steuereinnahmen sukzessive abgetragen werden. Zudem wird es lange dauern, bis Kapazitätsauslastung und Arbeitsmärkte auf ein Normalmass zurückfinden.

Interview: Fritz Pfiffner


3. Januar 2010

Autoren

PRIMIN HOTZ
ist Gründer der Dr. Pirmin Hotz Vermögensverwaltungen in Baar. Die Firma hat 12 Mitarbeiter und betreut Private und Pensionskassen. Bei Hotz stiegen die verwalteten Vermögen um 12%.

ANDRÉ KISTLER
ist Chefstratege und Gründungspartner der Albin Kistler AG in Zürich. Der Vermögensverwalter betreut institutionelle wie private Kunden, beschäftigt 30 Leute und meldet erfreuliche Neugeldzuflüsse.


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