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Aktiv anlegen: heiliger Gral oder heisse Luft?

Diversifikation richtig anwenden – Vorteile mit Frankenobligationen guter Qualität – Nicht passiv der Herde folgen – Wann ist aktives Investieren zu aktiv?

Eine alte Börsenweisheit besagt, man solle nicht alle Eier in einen Korb legen. Viele Stimmen behaupten, in der gegenwärtigen Finanz- und Wirtschaftskrise seien alle Körbe gleichzeitig zu Boden gefallen. Die Diversifikation habe also kläglich versagt. Gefordert werden aktiveres Management, konzentriertere Portfolios, neue Anlagekonzepte sowie mehr Freiheiten für die Asset-Manager. Wird mit diesen Forderungen nicht der Bock zum Gärtner gemacht?

Auch ein halbes Jahrhundert nach den Arbeiten der Ökonomen Harry M. Markowitz und William F. Sharpe zur Portfoliotheorie wird diese von vielen Finanzalchemisten noch immer nicht verstanden. Äusserungen wie «Diversifikation hat versagt, weil man in der aktuellen Krise auch mit einem diversifizierten Portfolio Verluste erlitten hat» oder «Diversifikation rechnet sich nicht, weil das Risiko und damit auch die Rendite abnimmt» zeugen vom verbreiteten Unverständnis.

Portfoliorisiko minimieren
Die eigentlich triviale Erkenntnis von Markowitz war, dass es sich lohnt, das Risiko auf verschiedene Wertpapiere zu streuen, sofern sie sich nicht perfekt gleich entwickeln. Mit genügend breiter Streuung können die unternehmensspezifischen Risiken – man denke an Konzernschicksale wie Enron, Swissair, AIG oder auch UBS – eliminiert werden. Der Anleger trägt dann nur noch das allgemeine Aktienmarktrisiko, im Fachjargon systematisches Risiko genannt.

Weiteren Auftrieb erhielt dieser Diversifikationsgedanke durch die Arbeiten von Fama in den Siebzigerjahren. Weil liquide Märkte informationseffizient sind, sind Prognosen zu Einzeltiteln kaum möglich. Folglich gibt es den richtigen Aktienwert nicht, es gibt nur die konsequente Diversifikation der Einzelrisiken.

Das führt zu zwei zentralen Erkenntnissen: Erstens ist es ein «Naturgesetz» der Finanzmärkte, dass mehr systematisches Risiko mehr erwarteten Ertrag bringt und umgekehrt. Obschon Gurus ihre scheinbare Prognosefähigkeit für mehr Ertrag bei geringeren Risiken anpreisen, ist die Diversifikation das einzige – und erst noch kostenlose – Mittel, das das Portfoliorisiko bis zu einem gewissen Grad senken kann, ohne dass die erwartete Rendite fällt. Jedoch trägt man, zweitens, selbst mit einem diversifizierten Aktienportfolio das allgemeine Marktrisiko. Folglich verspricht die Diversifikation nicht, dass keine Verluste möglich sind, sondern nur, dass das Schwankungsrisiko geringer ist als bei einem undiversifizierten Portfolio.

Dieses Versprechen der Diversifikation wurde entgegen allen Unkenrufen auch jetzt gehalten. So betrug beispielsweise in der Krise von Mitte 2007 bis Mitte 2009 das Schwankungsrisiko (Volatilität) der einzelnen SMI-Titel im Mittel 47%, der SMI als einigermassen diversifiziertes Portfolio wies bloss eine knapp halb so grosse Volatilität von 23% auf.

Das Diversifikationskonzept lässt sich von den Aktien auf ein Gesamtportfolio von Anlagekategorien ausdehnen. Diesbezüglich wurden in dieser Krise viele Investoren masslos enttäuscht, denn Hedge Funds, Private Equity, Aktienanlagen in aufstrebenden Ländern (Emerging Markets) oder Anleihen minderer Qualität sind im Gleichschritt mit dem Aktienmarkt in die Tiefe gerauscht.

Hat die Diversifikation versagt? Nein. Wenn ein Anleger Instrumente kauft, die faktisch Aktienrisiken enthalten, kann er nicht erwarten, dass er damit die Risiken seines Aktienportfolios ausreichend diversifizieren kann. Für Schweizer Investoren diversifizieren Frankenobligationen guter Qualität traditionellerweise besser als irgendwelche neuen Marketing-Anlagekategorien: Während ein Schweizer Stock Picker mit seinem Finanzwertportfolio bestehend aus UBS, Credit Suisse, Swiss Life und Swiss Re in der Krise 83% verloren hat, büsste ein breiteres Aktien-portfolio rund 50% ein. Während sich ersteres Depot versechsfachen muss, um den Ausgangswert wieder zu erreichen, muss sich das diversifizierte Portfolio «nur» verdoppeln. Hätte er zudem die Hälfte in Schweizer Obligationen von hoher Qualität investiert, so wäre sein Verlust auf 20% begrenzt gewesen. Bei einem Obligationenanteil von drei Vierteln wäre der Verlust gar kleiner als 5% ausgefallen.

Der Ruf nach mehr Freiheit und mehr Aktivität der Asset-Manager mutet bizarr an, wenn sich viele sehr aktive Hedge Funds und Finanzinstitute sowohl mit ihrem Geld als auch mit jenem der Kunden massiv verspekuliert haben. Das ist, wie wenn man zur Bekämpfung von Raserunfällen die Tempolimiten aufheben möchte. Aktivismus per se bringt nichts, besonders wenn er auf kurzfristige Prognosen baut. Wer jedoch umgekehrt das Heil in einer rigorosen Passivierung respektive Indexierung der Anlagen sucht, übersieht, dass der Investor immer aktiv entscheiden und verantworten muss. Welche Anlagekategorien abdecken? Welche Aktienquote ist adäquat? Welcher Vergleichsindex soll repliziert werden?

Hinterfragen lohnt sich
Oft sind sich die Entscheidungsträger nicht aller Konsequenzen bewusst. Wer beispielsweise den Pictet BVG-40 passiv abbildet, heisst ein Viertel der Obligationenquote in Fremdwährungen und Anlagen in minderwertigen BBB-Anleihen gut. Das passive Abbilden des Weltaktienmarktes würde für den Schweizer Anleger bedeuten, rund die Hälfte in US-Aktien zu halten und nur rund 3% in Schweizer Werten. Wer passive Kollektivanlagen kauft, stimmt dem nicht ungefährlichen Securities Lending in diesen Gefässen zu. Zudem akzeptiert, wer rein passiv investiert, erstens ein prozyklisches Verhalten und zweitens gewisse Klumpenrisiken.

Ein Beispiel hierfür sind die fünf grössten Titel der Schweizer Börse, auf die mehr als zwei Drittel des Portfoliogewichts entfallen würden. Prozyklisch ist das Verhalten, weil man der Herde folgt und Länder oder Sektoren hoch gewichtet, die gerade von einer Euphorie getragen werden. Beispiele sind Japan, das in den Achtzigerjahren die Hälfte der Kapitalisierung der Weltbörsen stellte, oder der Technologieaktiensektor gegen Ende der glamourösen Neunzigerjahre.

Die Beschränkung des maximalen Anteils einzelner Titel, Sektoren oder Länder sowie der Ausschluss minderer Anlage-qualitäten bei Anleihen (BBB und tiefer) stellen zwar gemessen an der Zusammensetzung der Vergleichsindizes einen aktiven Eingriff dar, der aber mit Blick auf die Risikobegrenzung nachvollziehbar ist. Es soll nur das aktiv gesteuert werden, was sich effektiv steuern lässt.

Da gibt es zwei grundsätzliche Anlageüberlegungen. Auf der Ebene der Einzeltitel sind Prognosen kaum möglich, der Segen der Diversifikation der Einzelrisiken soll daher genutzt werden. Klumpen-risiken gilt es zu vermeiden. Folglich muss aktiv von Indizes abgewichen werden, auch um einer Überdiversifikation der Anlagen zu entgehen – man braucht in einem Portfolio keine 200 Einzeltitel, um diversifiziert zu sein. Einige Studien zeigen überdies, dass gleichgewichtete Portfolios effizienter und robuster sind als indexierte, aber auch als prognosebasierte Anlagemodelle.

Skepsis ist auch angezeigt, wenn auf der Ebene der Anlagekategorien mit guruhaften Prognosen die Aktienquote prozyklisch in der Krise fast auf null reduziert wird oder im Boom der Anleger zu mutig wird. Die Aktienquote sollte entgegen dem Herdentrieb, antizyklisch innerhalb gesetzter Bandbreiten bewirtschaftet werden, was ein aktives – aber nicht prognosebasiertes – Element enthält.

Umsichtig bewirtschaften
Das ist der einzige Weg, langfristig nicht nur die Risiken einer hoffentlich fundiert gewählten Anlagestrategie zu tragen, sondern auch in den Genuss eines möglichst hohen Ertragspotenzials zu kommen. Ein grosses Anlagerisiko in der Praxis ist nämlich, dass man an mutigen (sich dann aber als falsch erweisenden) Prognosen scheitert, deswegen bei Tiefst die Aktienquote aktiv reduziert und in Cash oder eine überbewertete Anlagekategorie – zurzeit beispielsweise Immobilienfonds – umschichtet. Im ersten Fall bleibt man ewig auf dem Verlust sitzen, und im zweiten Fall droht sogar ein Folgeverlust.

Aktives Management ist heute oftmals ein Spielplatz von Prognostikern, Geschichtenerzählern, Portfoliogurus und Marketingartisten. Es braucht jedoch keine neuen Anlagekonzepte, die alten müssen bloss verstanden und konsequent umgesetzt werden. Das aktive Management der Anlagen sollte nicht als prognosebasiertes Trading, sondern als umsichtige Bewirtschaftung gelebt werden. Damit der Bock nicht zum Gärtner wird, muss es stets auf dem gesunden Menschenverstand von unabhängig denkenden Entscheidungsträgern basieren.


30. Dezember 2009

Autoren

THOMAS HAUSER
ist promovierter Ökonom und arbeitet als geschäftsführender Partner der Dr. Pirmin Hotz Vermögensverwaltungen AG.


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