Eine Korrektur an den Aktienbörsen ist überfällig
NZZ am Sonntag: 2017 war ein ausgezeichnetes Anlagejahr. Was haben Kunden in einem Portfolio mit 50% Aktienanteil netto verdient?
André Kistler: 2017 war das beste Anlagejahr seit 2009. Gemischte Portfolios erreichten teilweise doppelstellige Renditen.
Pirmin Hotz: Wir können dem zustimmen. Im Durchschnitt haben unsere Schweizer Kunden mit gemischten Portfolios gut 10% verdient. Wichtig war, dass die Fremdwährungsrisiken bei Aktien nicht abgesichert wurden, was viele Berater nach der Aufhebung der Kursuntergrenze durch die Nationalbank empfohlen haben.
Haben Sie Gewinne realisiert und, wenn ja, wo wieder investiert?
Hotz: Ja, um mit unserer deutlich übergewichteten Aktienquote nicht die obere Bandbreite zu überschreiten, haben wir im Sinne einer antizyklischen Anlagepolitik Teilgewinne auf Titeln realisiert, die besonders gut gelaufen sind. Wir haben die Liquidität erhöht, um wieder kaufen zu können, wenn es Rückschläge gibt.
Kistler: Aktien von erstklassigen Firmen tragen kleinere Risiken als durchschnittliche Staatsanleihen, garantieren aber langfristig steigende Dividendenerträge. Anleihen rentieren deutlich weniger, tragen aber Teuerungsrisiken. Unsere Kunden verstehen das und haben ihre strategischen Aktienquoten tendenziell erhöht. Die stark gestiegenen Kurse bewirkten 2017, dass die obere Aktien Bandbreite in vielen Depots erreicht wurde. Bei Kunden mit strategischer Planung oder Liquiditätsbedarf legten wir die realisierten Gewinne auf die Seite.
Wie haben Sie beim Nicht-Aktienanteil, also vor allem bei Obligationen, Geld verdient?
Hotz: Unsere Rendite bei Obligationen betrug rund 1%. Dazu beigetragen hat auch ein limitierter Anteil an Fremdwährungen, vor allem Britische Pfund und Norwegische Kronen. Da wir überdurchschnittlich hohe Aktienquoten halten, sind wir bei den Obligationen sehr konservativ, was die Bonitäts- und Zinsrisiken betrifft.
Kistler: Wir verdienten im abgelaufenen Jahr mit ausgesuchten Franken-Firmenanleihen, Pfund- und Schweden-Kronen-Anleihen Geld. Wir leben in einer Zeitepoche mit neuen globalen Marktteilnehmern und veränderten Spielregeln. Massive deflationäre Kräfte werden diese neue Welt noch lange prägen: Globalisierung, Digitalisierung und demografische Überalterung.
Sie waren beide in den Vorjahren recht positiv gegenüber Aktien. Und jetzt?
Kistler: Niemals zuvor war die globale Konjunkturentwicklung derart stetig und synchron wie im laufenden Zyklus. Nie zuvor war die Unternehmenswelt derart stabil wie heute. Nichts hat die Wirtschaftswelt derart verändert wie das Internet. Aktien-Risiko-prämien von über 2% sind in der vorliegenden, austarierten Welt kaum mehr zu rechtfertigen. Die Aktienbörsen befinden sich mitten in einer länger andauernden Bewertungsexpansion. Eine Börsenkorrektur ist zwar überfällig, langfristig werden erstklassige Aktien ihren grundlegenden Aufwärtstrend aber fortsetzen.
Hotz: Die Aktienmärkte sind zwar im historischen Vergleich über dem langfristigen Durchschnitt bewertet, bleiben aber angesichts anhaltender Negativzinsen langfristig die klar interessanteste Anlagekategorie. Viele Unternehmen sind in blendender Form und werfen attraktive Dividendenrenditen ab. Bei allem Optimismus gehen wir aber davon aus, dass das Jahr 2018 deutlich bescheidener ausfallen wird. Dabei orientieren wir uns an der Gewinnrendite der Aktien unserer Unternehmen, die derzeit etwas über 5% beträgt.
Trotzdem: Wenn einheitlich positive Meinungen herrschen, ist die Gefahr doch gross, dass es Enttäuschungen gibt?
Hotz: In der Tat wiegen sich viele Investoren aufgrund der seit einiger Zeit historisch extrem tiefen Kursschwankungen von Aktien in falscher Sicherheit. Wir gehen davon aus, dass 2018 die Volatilitäten zunehmen werden und es auch mal wieder zu Korrekturen kommen wird. Das wird in einer globalisierten Welt alle relevanten Aktienmärkte, nicht nur die USA, treffen.
Kistler: Wir haben schon länger keine grössere Börsenkorrektur mehr erlebt, die Risiken von Gewinnmitnahmen sind gestiegen. Aber Aktien sind teuerungsbereinigt noch immer attraktiv bewertet. Wer langfristig in erstklassige Unternehmen investiert, wird immer belohnt werden.
Sie investieren antizyklisch. Stehen nun Roche, Swiss Re oder UBS auf der Kaufliste?
Kistler: Unsere 16 Aktien-Analysten suchen nach den allerbesten Firmen dieser Welt. Von mehreren tausend potenziellen Unternehmen kaufen wir lediglich die 50 qualitativ überzeugendsten. Roche, Swiss Re und UBS gehören zu diesen 50.
Hotz: Obwohl wir gerade bei der Anlage in Bank- und Finanzwerte äusserst restriktiv und vorsichtig bleiben, sind alle diese Qualitätstitel bereits Bestandteil unserer Kundenportfolios. Unterdurchschnittliche Entwicklungen einzelner Titel haben wir im zu Ende gehenden Jahr genutzt, um zu attraktiven Kursen eine Anpassung vorzunehmen.
Die tiefen Zinsen treiben private Anleger vermehrt in alternative Anlagen wie Hedge Funds, Infrastrukturanlagen und Private Equity. Zu Recht?
Hotz: Wir haben für einen repräsentativen Korb kotierter Private-Equity-Anlagen die Rendite seit dem Jahr 2000 ermittelt. Das Resultat ist ernüchternd. Im Durchschnitt hat der Anleger mit diesen Gefässen über 40% seines Einsatzes verloren. Ein Anleger kauft deshalb am besten die Aktien eines Anbieters, der hoch profitabel ist, aber nicht dessen Produkte. Bei Infrastruktur und Hedge-Funds sieht es nicht viel besser aus. Ein Grossteil dieser von der Branche mit Hochdruck verkauften Anlagen ist intransparent, illiquid und äusserst riskant.
Kistler: Die Flucht in alternative Anlagen ist nicht neu, sie hat bereits Ende der neunziger Jahre sowie im Vorlauf zur Finanzkrise stattgefunden. Doch eines ist klar: Es ist die Firmenwelt, welche die finanzielle Wertschöpfung erbringt. Nur über kotierte Aktienanlagen kann man sich transparent und kostengünstig daran beteiligen.
«Bei allem Optimismus gehen wir aber davon aus, dass das Jahr 2018 deutlich bescheidener ausfallen wird.»
Sie sehen bei neuen Kunden Portfolios, die andere konstruiert haben. Was fällt auf?
Kistler: Viele Depots sind mit teuren und wenig sinnvollen Bankprodukten überfüllt. Die rentabelste Anlagekategorie der letzten 50 Jahre, Schweizer Small- und Mid-Caps, wird dagegen in den meisten Bankendepots vernachlässigt. Nur die Schweiz verfügt über diese Vorzüge: grösste Dichte an global tätigen Firmen, solideste Währung, geringe Verschuldung, tiefste Zinsen, tiefe Regulierungsdichte, grosse Flexibilität, direkte Demokratie.
Hotz: Die meisten Portfolios sind mit komplexen, eigenen und fremden Produkten durchsäht, oft mit unverständlichen Phantasienamen versehen. Kaum ein Käufer einer höher verzinslichen Pflichtwandelanleihe einer Kantonalbank dürfte sich wohl bewusst sein, dass er im Krisenfall für die Sanierung der Bank geradestehen muss. Auch stellen wir fest, dass viele Banken und Vermögensverwalter nach wie vor Gebühren kassieren, die nicht vom Kunden stammen, was zu Interessenskonflikten führt.
«Wer Bitcoins kauft, investiert nicht in die reale Wirtschaft, sondern spekuliert in ziemlich leeren Räumen.»
Haben Sie Kunden, die nach der Kryptowährung Bitcoin fragen?
Kistler: Diese Frage taucht hin und wieder auf. Wer Bitcoins kauft, investiert nicht in die reale Wirtschaft, sondern spekuliert in ziemlich leeren Räumen. Wir Vermögensverwalter üben einen äusserst wichtigen, vertrauenswürdigen und wie ich meine geradezu ehrenvollen Beruf aus: Wir führen die Ersparnisse von Privatpersonen und Pensionskassen zurück in den Wirtschaftskreislauf, dorthin, wo Arbeitsplätze entstehen und gepflegt werden, dorthin, wo Wertschöpfung zugunsten aller erzeugt wird. Diesen Wert bietet die Bitcoin-Welt nicht.
Hotz: Bitcoin ist zwar auch bei unseren Kunden ein Gesprächsthema, aber keiner hat ernsthafte Absichten für einen Kauf signalisiert. Der spekulative Hype dieser virtuellen «Währung» erinnert trotz interessanter Technologie an die Tulpenmanie im 17.Jahrhundert. Für uns ist Bitcoin als Anlage tabu.
Pirmin Hotz
ist Gründer der Dr. Pirmin Hotz Vermögensverwaltungen in Baar. Die Firma hat 13 Mitarbeiter und betreut Private wie Pensionskassen. Der Zufluss neuer Gelder nahm 2017 um gut 6% zu
André Kistler
ist Chefstratege und Gründungspartner der Albin Kistler AG in Zürich. Der Vermögensverwalter betreut institutionelle wie private Kunden, beschäftigt 30 Leute und meldet erfreuliche Neugeldzuflüsse
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