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Malediven statt Kick-backs

Malediven statt Kick-backs

Viele Banken und Vermögensverwalter kassieren weiterhin verpönte Retrozessionen. Das führt zu Interessenkollisionen, die nicht im Sinn der Kunden sind.

Wer seine Ferien auf den Malediven in einem Reisebüro bucht, ohne diesem ein Honorar überweisen zu müssen, weiss natürlich, dass der Dienstleister nicht von Luft und Liebe lebt. Um Löhne und Aufwendungen bezahlen zu können, kassiert er Rückvergütungen von Hotels und Fluggesellschaften.

Anders sieht es in der Finanzwelt aus. 2006 fällte das Bundesgericht ein erstes, bahnbrechendes Urteil. Es entschied, dass Kick-backs respektive Retrozessionen aller Art dem Kunden gehören, und zwar unabhängig davon, ob es sich bei der Dienstleistung um Vermögensverwaltung oder um Anlageberatung handelt. Spätere Gerichtsurteile bestätigten und präzisierten den Entscheid.

Wer nun glaubt, die Finanzbranche sei seither sauber und würde gänzlich auf Kick-backs verzichten, täuscht sich. Gemäss Experten ist es bei 80 bis 90% der Banken und «unabhängigen» Vermögensverwalter Usanz, Bestandspflegeprovisionen auf Anlagefonds, strukturierten Produkten, Hedge Funds, Private Equity und Infrastruktur- sowie Immobilienprodukten zu kassieren. Dazu kommen einmalige Vertriebsentschädigungen, Rückvergütungen auf Börsentransaktionen sowie Finder’s Fees für Gelder, die Vermögensverwalter im Namen ihrer Kundschaft zu ausgewählten Banken lenken. Es ist davon auszugehen, dass in der Schweiz nach wie vor Kick-backs in Milliardenhöhe fliessen. Wie ist das möglich, wenn es doch höchstrichterliche Entscheide gibt, die diese eigentlich längst untersagen?

Im Unterschied zu den restriktiveren Mifid-II-Bestimmungen des europäischen Raums ist in der Schweiz die Annahme von Retrozessionen nicht explizit verboten, jedoch juristisch heikel und oft anfechtbar. Die hiesige Finanzbranche lobbyierte mit Hinweis auf die Mündigkeit der Anleger erfolgreich gegen ein grundsätzliches Verbot von Retrozessionen. So haben viele Banken und Vermögensverwalter einfach ihre «Allgemeine Depotbedingungen» und Verträge so angepasst, dass der Kunde sich einverstanden erklärt, auf die Herausgabe der ihm zustehenden Gebühren zu verzichten.

Wie eine sanfte Droge

Stellvertretend für viele andere Finanzakteure sei auszugsweise aus den vertraglichen Grundlagen von UBS zitiert: «UBS erhält typischerweise von diesen Produktherstellern auf periodischer Basis und/oder im Voraus monetäre Leistungen wie Vertriebs­entschädigungen/Bestandes­pflegekommissionen, Rabatte und ähnliche Leistungen als Entgelt für den Vertrieb und/oder die Verwahrung dieser Finanzinstrumente.» Und weiter: «Leistungen können bei UBS zu Interessenkonflikten führen. Sie können insbesondere einen Anreiz für UBS begründen, bestimmte Finanzinstrumente, die höhere Leistungen vergüten, anderen Finanzinstrumenten ohne Leistungen oder Finanzinstrumenten mit tieferen Leistungen vorzuziehen.»

Dass es sich bei diesen «Leistungen» respektive Kick-backs nicht um Marginalien handelt, geht aus dem separaten Informationsblatt der Grossbank hervor. So können die von ihr vereinnahmten Retrozessionen bei Obligationen-, Aktien-, Anlagestrategie-, Private-Equity-, Immobilien- und Hedge Funds jährlich bis zu 2% betragen. Das sind gewaltige Maximalsätze, die unter Umständen das Mehrfache des dem Kunden transparent in Rechnung gestellten Honorars ausmachen. Bei strukturierten Produkten geschieht die Rückvergütung mit einer einmalig vereinnahmten «Upfront Fee», die bis zu 3% betragen kann.

Versteckte und intransparente Gebühren sowie darauf bezahlte Kick-backs fressen sich wie Krebsgeschwüre durch die Wertschriftenportfolios von Bankkunden. Sie wirken wie eine sanfte Droge, bei der der «Patient» kaum spürt, wie er langsam und fast unmerklich ausblutet - wer liest schon im Detail die «Allgemeinen Depotbedingungen» der Hausbank, die mittlerweile Dutzende von Seiten umfassen? Hubert Schwärzler, Geschäftsführer von Liti-Link, die auf die Rückforderung von Retrozessionen spezialisiert ist, liess sich in «Finanz und Wirtschaft» vom 23. Januar 2021 wie folgt zitieren: «Die Schweizer Banken kassieren Retrozessionen, als ob es nie ein Bundesgerichtsurteil gegeben hätte.» Dass Kick-backs am Ende nicht etwa von den Produkteanbietern selbst bezahlt werden, sondern von den Endkunden, ist ebenso klar wie die Tatsache, dass dies zulasten ihrer Performance geht.

In rechtlicher Grauzone

Wer Retrozessionen vereinnahmt, bewegt sich in einer rechtlichen Grauzone. Das wird mit dem folgenden Satz, der Eingang in die Vertragsgrundlagen der UBS gefunden hat, deutlich: «Der Kunde nimmt zur Kenntnis, dass diese Regelung von der vorgesehenen Erstattungspflicht gemäss Art. 400 Absatz 1 des Schweizerischen Obligationenrechts oder einer anderen gesetzlichen Vorschrift mit ähnlichem Inhalt abweicht.» Offensichtlich ist sich die Bank bewusst, dass sie sich im Widerspruch zum geltenden Recht bewegt. Das ist zumindest heikel. In Grossbritannien und den Vereinigten Staaten sind Kick-backs deshalb grundsätzlich verboten. Die wichtigste Währung im Anlagegeschäft ist Vertrauen. Wer einer Bank oder einem Vermögensverwalter sein Geld anvertraut, geht davon aus, dass einzig und allein in seinem Interesse gehandelt wird - das ist bei einem Arztbesuch nicht anders. Dieser elementare Grundstein des Vertrauens wird nun aber durch die inhärenten Interessenkollisionen, die Kick-backs implizieren, torpediert.

Wer Retrozessionen kassiert, ist nicht unabhängig und muss sehr oft mit hohem Verkaufsdruck die ambitionierten und bonusgetriebenen Verkaufs- und Ertragsziele der Chefetage erfüllen. Dass dies nicht im Interesse der Kunden ist, versteht sich von selbst. Wie kann ein Kunde seinem Banker oder Vermögensverwalter vertrauen, wenn sich dieser permanent in einem Interessenkonflikt befindet?

Verkaufsdruck schafft Fehlanreize

Wirklich unabhängig ist ein Geldverwalter nur dann, wenn er einzig vom Honorar seiner Kunden lebt, keine Fehlanreize hat und keinerlei Retrozessionen vereinnahmt. Nur so ist sichergestellt, dass seine Handlungen immer die Interessen des Kunden in den Mittelpunkt stellen und für diesen stets die bestmöglichen Konditionen ausgehandelt werden. Sonst besteht die latente Gefahr, dass ihm genau diejenigen Produkte mit den höchsten Margen und Kick-backs verhökert werden. Wir erinnern uns: Bei den Madoff-Fonds und Lehman-Produkten wurden Kick-backs von bis zu 5 Prozentpunkten an die Vermittler bezahlt. Das stinkt zum Himmel und hätte von Anfang an hellhörig machen müssen.

Oberstes Ziel eines Bankers oder eines Vermögensverwalters muss sein, das Geld der Kunden ohne Interessenkollisionen so zu verwalten wie das eigene - das ist eine Frage der Moral und des Charakters. Fliessen Kick-backs, ist das gemäss dem deutschen Buchautor Gerhard Schick («Die Bank gewinnt immer») etwa so, wie wenn man sich von einem Anwalt vertreten lässt, der bei der Gegenseite angestellt ist.

Wer sich darüber hinaus einbildet, die Einladung zu einem luxuriösen Golf-Event sei eine grosszügige Geste seines Bankers als Dank für die Treue zum Geldinstitut, macht sich etwas vor. Bei Lichte betrachtet bezahlt der Kunde den Event mit dem Kauf teurer Produkte nämlich selbst - in der Regel gleich mehrfach.

Anleger, die konsequent auf hochmargige Produkte verzichten und ihrem Vermögensberater keine Kick-backs zugestehen, erzielen eine höhere Performance - und gönnen sich aus dem gesparten Geld eine «kostenlose» Ferienreise auf die Malediven.


Finanz und Wirtschaft
15. Juni 2024

Autoren

Dr. Pirmin Hotz
ist Gründer und Inhaber der Dr. Pirmin Hotz Vermögensverwaltungen AG mit Sitz in Baar


Kategorien
  • Interessenkonflikte
  • Verkaufsdruck