Keine Baisse ist wie die andere
Während Covid-19 sind die weltweiten Aktienmärkte im Rekordtempo um durchschnittlich 35 Prozent eingebrochen. Als gegen Ende März die Pandemie ihren Höhepunkt erreichte, herrschte Angst und Panik. Die Nerven der Anleger lagen blank. Das bekannteste Angstbarometer, der Volatilitätsindex VIX, erreichte einen Spitzenwert von über 80. Im Durchschnitt betrug er im Jahr 2019 gerade einmal 15.
Der Lockdown führte zu einem unverzüglichen Einbruch der Weltwirtschaft. Vergleiche mit dem Ersten Weltkrieg und der Depression der 1930er-Jahre wurden gezogen. Jüngere Anleger, die weder die Finanzkrise noch die 9/11-New Economy-Krise nach der Jahrtausendwende erlebt haben, lernten gerade Finanzgeschichte.
Wie in jeder Börsenkrise drängten sich auch in diesem Frühjahr ein paar selbsternannte Gurus ins Scheinwerferlicht der Medien, um zu verkünden, dass sie diese Baisse selbstverständlich hätten kommen sehen. Natürlich ist das nur Geschwätz, denn nicht einmal die führenden Virologen und Epidemiologen in aller Welt waren sich nach Ausbruch von Covid-19 einig, wie sich das Virus in den verschiedenen Regionen unseres Planeten ausbreiten werde und was die Folgen sein würden.
Hat es einer dieser Superschlauen zu einem erfolgreichen Geldverwalter gebracht? Fehlanzeige. Die meisten von ihnen verdienen ihr Brot mit flapsigen Vorträgen oder mit Börsenbriefen, in denen sie als Dauerpessimisten ihre Untergangsbotschaften verkünden. Die Anlegerlegende Warren Buffett und sein Partner Charlie Munger hätten diese prognostischen Supercracks wohl schon längst eingestellt, würde es sie denn wirklich geben.
Die gleichen Grundregeln
Viel wichtiger, als eine Börsenkrise vorauszusehen, ist das Vermeiden der gröbsten Anlegerfehler. Der erste grosse Fehler vieler Investoren ist, eine langfristig erfolgreiche Strategie kurzfristig über den Haufen zu werfen. Während es für einige Anleger in normalen Zeiten selbstverständlich ist, für Aktien einen Anlagehorizont von mindestens acht oder zehn Jahren zu unterstellen, verkürzt sich dieser in Krisenzeiten fast über Nacht auf wenige Tage oder Wochen. Aus einer Politik der ruhigen Hand wird eine hektische, die im Falle von Corona von den Berichten zu den täglichen Fallzahlen oder Todesfällen getrieben war.
Das führt unweigerlich zu einer prozyklischen Anlagepolitik, die ohne Zweifel schädliche Auswirkungen auf die Performance hat. Wer in Börsenkrisen versucht, aus- und später zu tieferen Kursen wieder einzusteigen, erlebt eine Enttäuschung. Erstens riskiert er in seiner Panik, im dümmsten Moment auszusteigen. Zweitens ist eine zuverlässige Prognose, wann die Märkte ihren Tiefpunkt erreichen, schlicht unmöglich. Drittens wird ein Anleger aber mit Sicherheit seine Aktien, die er bei Regenwetter verkauft hat, ein paar Wochen später bei einem tornadoartigen Wolkenbruch nicht zurückkaufen.
Warum ist das so? Das hat nicht zuletzt psychologische Gründe. Der Tiefpunkt der Börse wird nämlich genau dann erreicht, wenn die Nacht am dunkelsten ist und die Panik der Anleger auf dem Siedepunkt liegt. Es ist dann nur logisch, dass ängstliche Anleger niemals ihre einmal verkauften Aktien zurückkaufen, wenn ihre Angst noch grösser geworden ist. Wer deshalb verkauft und auf den Zeitpunkt wartet, bis sich der Börsenhimmel wieder etwas aufheitert, kommt immer zu spät. Sobald sich nämlich die Aussichten tatsächlich verbessert haben, steht die Börse bereits wieder höher. Das war und ist in jeder Börsenkrise so – auch bei Corona.
Dazu kommt, dass in jede starke Baisse nicht nur die schlechtesten Börsentage eines Jahres fallen, sondern auch die besten. So haben just nach Erreichen der Tiefstände die weltweiten Aktienmärkte alleine in den drei Tagen vom 24. bis 26. März um gegen 20 Prozent zugelegt. Wer verkauft hat, verpasste in der Folge auch diese fulminante Erholung. Besser macht es, wer Krisenzeiten nutzt, um seine Aktienpositionen antizyklisch zu erhöhen. Wer in Baissen zukauft, profitiert von den Übertreibungen des Marktes und vom Herdentrieb derjenigen Anleger, die ihre Aktien zu Schleuderpreisen auf den Markt werfen.
Keine Aktien auf Pump
Zu den Anlegern, die in Krisen regelmässig prozyklisch agieren, zählen erstaunlicherweise nicht nur ängstliche Privatinvestoren, wie man vielleicht vermuten würde, sondern insbesondere auch die Versicherungsunternehmen. So hat der Lebensversicherer Swiss Life sein Aktienengagement per Ende März in prozyklischer Weise glatt halbiert. Dass dies der Performance schadet, liegt auf der Hand. Dazu kommt: Wer in Börsenkrisen Untergangsszenarien malt und Vergleiche mit der Weltwirtschaftskrise der 1930er-Jahre anstellt, dem sei wieder einmal in Erinnerung gerufen, dass in den grossen Krisen der Geschichte nicht etwa Aktien untergegangen sind, sondern vermeintlich sichere Staatsanleihen und Gelder auf Banken, die pleitegingen. Gerade ist Argentinien zum neunten Mal in seiner Geschichte bankrottgegangen. Aktien von soliden Unternehmen hingegen sind nach jeder Krise wieder auferstanden wie Phoenix aus der Asche.
Der zweite grosse Anlegerfehler ist der Kauf von Aktien auf Pump. Gross- und Privatbanken haben ihren Anlegern vor der Krise empfohlen, mit zinsgünstigen Lombardkrediten zusätzliches Ertragspotenzial abzuschöpfen. Iqbal Khan, der Co-Chef der UBS, sprach in einer internen Bankmitteilung von sogenannten «Quick Wins». Im Sturm des Corona-Tornados war dann bei vielen der kreditfinanzierten Investoren nicht mehr genügend Deckung vorhanden, und es kam zu einem sogenannten «Margin Call». Die Kunden wurden von ihrer Hausbank aufgefordert, unverzüglich zusätzliche Gelder einzuschiessen. Dabei kam es zu unzähligen Zwangsliquidationen von Wertschriftendepots, weil diese nicht eingebracht werden konnten. Lombardkredite sind deshalb keine «Quick Wins» – ausser vielleicht für die Banker selbst –, sondern vielmehr ein «no go».
Lehman – war da was?
Ein dritter Fehler, den Anleger gerade in Zeiten von Negativzinsen begehen, ist die Anlage in illiquiden, hochmargigen und intransparenten Produkten wie Private Equity, Hedge Funds, Infrastruktur oder strukturierte Produkte. Viele dieser von den Banken mit Hochdruck vermarkteten Produkte haben in dieser Krise, zu Marktwerten bewertet, sogar mehr verloren als die Aktienmärkte. Bei den sogenannten «Strukis» wurden Tausende von Barrieren geknackt und vermeintlich konservativen Anlegern wurden über Nacht hochriskante Bankaktien in ihr Depot gespült. Die Erfahrungen aus der Lehman-Pleite von 2008 sind offenbar längst vergessen.
Eine vierte Falle, in die viele Anleger nun getrappt sind, ist ihr Engagement in hochverzinslichen Anleihen respektive Junk Bonds. Die Corona-Krise brachte einen schockartigen Anstieg der Risikoprämien, die auch die Schwellenmärkte erfasste. Auch im Segment der Hochzinsanleihen waren die Verluste teilweise höher als bei den Aktien. Bei den Anleihen sollten deshalb konsequent keine Qualitätskompromisse gemacht werden – Negativzinsen hin oder her.
Was wird uns die Zukunft bringen? Wie immer wissen wir es nicht. Sicher erscheint einzig, dass die unsichere Entwicklung des kleinen Virus eine viel grössere Bedeutung für die mittelfristige Aktienmarktentwicklung haben wird als der zwischenzeitlich eingetretene Konjunktureinbruch und die teilweise zu erwartenden herben Rückgänge bei den Unternehmensgewinnen.
Klar ist auch, dass Unternehmensbeteiligungen als Realwerte auch in Zukunft die attraktivste Anlageform bleiben werden. Der Preis für die langfristig überragende Rendite von Aktien sind die teilweise hohen Schwankungen, die wir auf dem Weg nach oben zu erdulden haben. Die wichtigste Lehre für Anleger ist aber die: Jede Baisse ist in ihrem Ursprung und ihrer Ausprägung eine andere, aber die stupenden Anlegerfehler bleiben immer die gleichen.
Pirmin Hotz
Inhaber der gleichnamigen Vermögensverwaltungsgesellschaft, Baar
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