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Fördert der Finanzsektor Anleger-Illusionen?

Bescheidenheit statt vollmundige Versprechen gefordert

Nicht nur renommierte Banken und Versicherer, sondern auch prominente Professoren sowie eifrige Politiker sind im Zusammenhang mit dem Behring-Debakel nicht unerwähnt geblieben. Nach Ansicht des Autors sind die Mitglieder der Finanzbranche mitverantwortlich, dass die von Gier und Naivität getriebenen Investoren den phantastischen Illusionen der Finanzwelt immer wieder erliegen. (Red.)

Im Jahr 1990 wurden Nobelpreise für bahnbrechende Arbeiten auf dem Gebiet der Portfoliotheorie verliehen. Die Kernaussage dabei ist, dass die Finanzmärkte eine hohe Effizienz aufweisen und deshalb nicht nur für Laien, sondern auch für Experten weitgehend unprognostizierbar sind. Deshalb spielt für eine langfristig erfolgreiche Vermögensverwaltung vor allem eine gut diversifizierte Anlagestruktur eine wesentliche Rolle. Die Erkenntnisse der Portfoliotheorie stellen aber für viele Praktiker eine desillusionierende Erkenntnis dar, weshalb immer wieder der im Grunde begrüssenswerte Versuch unternommen wird, die Arbeiten der Theoretiker zu torpedieren. Die Konsequenz, sich mit einer recht passiven, langfristig ausgerichteten Anlagepolitik abfinden zu müssen, passt schliesslich nicht so recht zur Etikette der ambitionierten Finanzindustrie. Deren Ziel ist es, mit ihren Prognosen systematisch den Markt zu übertrumpfen, also Überrenditen in Form des sogenannten Alpha zu erzielen.

Überschätzte Prognosefähigkeit
Realistisch betrachtet beweisen sich die ungläubigen Praktiker aber immer wieder selbst, dass sie sich in der eigenen Prognosefähigkeit massiv überschätzen. Die Performance der grossen Mehrheit der Fonds, die durchaus als repräsentativ für die Fähigkeiten der Anlageprofıs betrachtet werden können, liegt systematisch hinter den Vergleichsindizes zurück. Das schreckt die Anbieter aber nicht davon ab, genau jene Produkte ihrer Fondspalette in ganzseitigen Inseraten gutgläubigen Investoren anzupreisen, die zufälligerweise gerade modern und erfolgreich sind. Deren prozyklisches Verhalten führt überdies regelmässig dazu, dass die kurzfristig aufgebauten Hoffnungen und Illusionen bald wieder Verfliegen und sodann von neuen Innovationen überrollt werden.

So haben sich in den letzten zwei Jahrzehnten Anlagen in japanischen Aktien und Warrants, Junk Bonds, Aktien der New Economy und in jüngerer Zeit Hedge-Funds in der Popularität abgelöst. Für viele Anleger, die der Illusion unrealistisch hoher Renditen verfallen sind, endete der Traum jeweils in einem Trauma. Es ist zu befürchten, dass dies bei den mit Hochdruck Vermarkteten, satte Margen abwerfenden Hedge-Funds und vielen strukturierten Produkten nicht anders sein wird. Es ist nicht einzusehen, warum die Branche, die in der Vergangenheit mit ihren Prognosen regelmässig in die falsche Richtung marschiert ist, nun unabhängig von der Börsenentwicklung systematisch positive Ergebnisse produzieren soll. Wer bei Kapitalmarktzinsen von unter 2,5% sowie einer gleichzeitigen Aversion gegen risikobehaftete Aktien eine jährlich möglichst konstante Rendite von über 8% Verspricht, macht sich selber unglaubwürdig. Es ist wohl nur eine Frage der Zeit, bis die Black-Box-Konstrukte der modernen Gebührenjäger zu schmerzvoller Ernüchterung führen. Mit der derzeit zelebrierten «Produkte-Manie» ist der Kunde längst nicht mehr in der Lage zu wissen, wie, wo und bei wem er sein Geld investiert hat. Anzufügen bleibt auch, dass die von unabhängigen Vermögensberatern, aber auch von Banken stipulierte «offene Architektur» im Fondsvertrieb alles andere als unabhängig ist. Wie der New Yorker Staatsanwalt Eliot Spitzer jüngst aufgedeckt hat, verkaufen die Berater oft nicht die besten, sondern die margenträchtigsten Fonds und kassieren dafür horrende Vermittlungsgebühren.

Temporäre Überreaktion der Märkte
Populärwissenschaftliche Exponenten des Kapitalmarktes verkünden mit selbstverständlicher Beharrlichkeit, dass mittels Charttechnik, Behavioural Finance oder hochspezialisierter Computermodelle eine aussagekräftige Prognose über Kursentwicklungen möglich sei. Wenn dem so wäre: Warum sind dann die Resultate vieler Fonds und strukturierter Produkte entgegen den grossspurigen Verkaufsargumenten so schlecht? Und wie kann es passieren, dass selbst renommierte Banken mit ihren unzähligen Analytikern nicht selten hohe Verluste auf ihren Eigenbeständen einfahren? Tatsache ist wohl, dass alle noch so intelligenten Prognosemodelle den Härtetest, also das systematische Erzielen von Überrenditen, nicht bestanden haben. Wenn es eine prognostisch verwertbare Erkenntnis überhaupt gibt, dann ist es wohl die, dass Finanzmärkte temporären Überreaktionen unterworfen sind. Diese sogenannten Herdentrieb-Effekte frühzeitig zu erkennen, ist aber mit Sicherheit kein Kinderspiel.

Appell an den Realitätssinn
Der Höhepunkt der ungehemmten Vermarktung hoher Renditeversprechen wird schliesslich dann erreicht, wenn die Anbieter den Begriff «Arbitrage» verwenden. So zirkulieren Schlagwörter wie Zins-, Währungs- oder Aktien-Arbitrage in der Welt der Hedge-Funds. Jeder Sachkundige versteht unter Arbitrage das risikolose Ausnützen von Preisdifferenzen. Aufgrund der hohen Effizienz der liquiden Finanzmärkte (Ineffızienzen in illiquiden Märkten sind schon aufgrund der mangelnden Liquidität nicht risikolos zu nutzen) sind Arbitrage-Geschäfte fast vollständig vom «Speisezettel» des professionellen Händlers verschwunden. Gäbe es Arbitrage oder systematisch erfolgreiche Prognosen, würden kapitalkräftige Investoren, Banken wie Versicherer, zweifellos günstige Kredite aufnehmen und «risikofrei» in höher verzinsliche Anlagen investieren. Was aus solchen Überlegungen geworden ist, wissen wir spätestens aus der Erfahrung mit dem kollabierten Hedge-Funds LTCM. Eine zuverlässige Prognose von Finanzanlagen beziehungsweise einen «Free Lunch» gibt es nicht.

Die Mitglieder der Finanzbranche überschätzen sich in ihrer Prognosefähigkeit systematisch. Fatal ist dann, wenn auf diese Weise und aufgrund der eigennützigen Jagd nach offenen und versteckten Gebühren Anleger von einer transparenten, langfristig ausgerichteten und gut diversifızierten Anlagestrategie im Sinn der Portfoliotheorie ferngehalten werden. Etwas mehr Bescheidenheit und Realitätssinn wäre wünschenswert, um nicht zuletzt auch unwillkommenen Renditeversprechungen zu entziehen.


20. Dezember 2004


Autoren

PRIMIN HOTZ
ist Gründer der Dr. Pirmin Hotz Vermögensverwaltungen in Baar. Die Firma hat 12 Mitarbeiter und betreut Private und Pensionskassen. Bei Hotz stiegen die verwalteten Vermögen um 12%.


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