Die Hoffnung auf den doppelten Gewinn
Der Wunsch, nachhaltig zu investieren, dürfte in Zukunft nicht nur bei institutionellen Anlegern, sondern auch bei Privatkunden immer weiter um sich greifen. Nachhaltiges Investieren lässt nämlich auf zweierlei Arten von Gewinn hoffen: dass die investierte Summe sich rentiert, also materiell an Wert zunimmt, und dass zugleich mit ihrer Hilfe immaterielle Werte geschaffen, geschützt und gestärkt werden. Der Wunsch nach diesem Zweifachsegen zeugt von inneren Zweifeln am bisherigen Kurs unseres Wirtschaftens und von einem veränderten Meinungsklima. Der Kapitalismus habe zwar so vielen Menschen wie niemals zuvor ein menschenwürdiges Dasein ermöglicht. Er plündere aber den von uns bewohnten «Stern der Knappheit», so der deutsche Ökonom Erich Schneider, immer mehr aus und macht ihn unwohnlich, unwirtlich, ja womöglich langfristig unbewohnbar. In einem so alarmistischen Meinungsklima geraten alle Investitionen unter Rechtfertigungsdruck. Tragen sie zum bisherigen zerstörerischen Treiben bei, oder dienen sie der nötigen Wende zur Nachhaltigkeit? Die Frage mag berechtigt sein. Sie lässt sich aber oft nur sehr schwer beantworten.
Das hat Gründe, die philosophiegeschichtlich ein alter Hut sind. Sie werden in der Philosophie zum Beispiel in der Debatte um die sogenannte materiale Wertethik diskutiert. Eine Erkenntnis aus dieser Debatte lautet: Wer jenseits des Ökonomischen Werte definiert und zu ihrer Verwirklichung aufruft, der betritt einen Spiegelsaal, in dem es gehörig klirrt und splittert. Es gibt nämlich fast beliebig viele Werte, die sich geltend machen lassen und parallel Durchsetzung fordern. Darüber hinaus stehen diese Werte keinesfalls in vorherbestimmter Einheit und Widerspruchsfreiheit. Ganz im Gegenteil: Menschliches Handeln kann dem einen Wert dienen und andere verletzen, ja, mitunter verletzen müssen: Wer sein krankes Kind retten will, muss auf dem Weg zum Arzt notfalls sein Pferd zuschanden reiten, was nicht dem Tierschutzgedanken entspricht.
Die Dilemmata des Anlegers sind dabei: Erstens können wichtige Werte jenseits des Ökonomischen nur individuell definiert werden, der Investor will damit aber das ganze Wirtschaftssystem für alle verbessern. Zweitens setzt er produzentenseitig an, indem er nicht mehr in gewisse Firmen investiert, was aber tatsächlich produziert wird, wird konsumentenseitig bestimmt. Diese Dilemmata haben eben anders als Probleme keine saubere, das heißt allgemeingültige Lösung.
Was soll nachhaltiges Investieren denn eigentlich sein? Dafür sind in den USA, von wo die Idee ausging, längst – angeblich allgemeingültige - Kataloge aufgestellt worden. Die Möglichkeit zum nachhaltigen Investieren erkennt man demnach daran, dass es in den Bereichen Umwelt (Environmental), Soziales (Social) und Unternehmensführung (Governance) Gutes bewirkt und belohnt. Das können im E-Bereich zum Beispiel Investitionen in erneuerbare Energien sein. Im S-Bereich bieten sich Kriterien an wie der Verzicht auf Kinder- und Zwangsarbeit, hohe Standards bei Arbeitssicherheit und eine angemessene Entlohnung. Im G-Bereich kommen Aspekte in Betracht wie der Verzicht auf Korruption und Bestechung sowie die Verknüpfung der Vorstandsvergütung mit Nachhaltigkeitszielen.
Diese Sammlung von ESG-Kriterien lässt sich unendlich verfeinern. Das geschieht auch immer mehr, nur leider bisher ohne eine strukturierte wie sinnvolle Vereinheitlichung der Maßstäbe. Dadurch werden die Bewertungen und Empfehlungen immer schwerer nachvollziehbar und vergleichbar. Obendrein regt sich bald schon noch eine ganz andere Frage: Ist nicht das meiste davon, was als ESG gefordert und gefeiert wird, längst mehr oder minder selbstverständlich?
Welches Unternehmen könnte denn in westlichen Industrienationen um Investoren werben und ungerührt die Umwelt zugrunde richten, dabei nutzlos Energie verpulvern und die Mitarbeiter kujonieren? Weiter gefragt: Sähe es denn in Schwellenländern mit einer demokratischen Öffentlichkeit drastisch anders aus? Müssen nicht auch dort alle halbwegs bekannten Unternehmen jeden Skandal scheuen? Und wäre nicht ein Skandal irgendwann unausweichlich, wenn das Unternehmen gravierend gegen ESG-Kriterien verstieße?
Was aber Länder ohne demokratische Öffentlichkeit (wie beispielsweise China) oder mit schwachen Regeln oder schwacher Aufsicht anlangt – wie soll denn ein Investor je sicher sein können, dass dort die ESG-Kriterien tatsächlich eingehalten werden, so feierlich sie auch immer beschworen werden mögen? Laufen also im Grunde die ESG-Kriterien nicht darauf hinaus, die Unternehmen in wohlregulierten Volkswirtschaften mit starkem Wettbewerb für zu bösartig zu halten und die in intransparenten Schwellenländern sowie in undurchsichtigen Regimen für zu aufrichtig?
Die ESG-Welle erzeugt einen Zwang zur Selbsterklärung und Selbstrechtfertigung, der an sich hilfreich und heilsam ist. Aber erzeugt dieser heilsame Zwang nicht unweigerlich Gegenreaktionen - hohle Ritualisierungen, Berichtskosmetik, Greenwashing, sinnentleerte ESG-Kataloge?
Eines ist gewiss: Alle Unternehmen, die um Investoren werben, stellen längst auch ihre angebliche ESG-Orientierung ins Schaufenster. Ob es sich dabei um mehr handelt als um Attrappen, ist oft schwer zu sagen. Es gibt nämlich so viele ESG-Werte, dass sich daraus fast immer ein bunter Achievement-Strauß binden lässt: Eine Firma kann gute Löhne zahlen, Luft und Wasser schonen, Betriebskitas finanzieren und brav Steuern zahlen - während deren Zulieferer Regenwälder abholzen.
«Eine Firma kann gute Löhne zahlen, Luft und Wasser schonen, Betriebskitas finanzieren und brav Steuern zahlen - während deren Zulieferer Regenwälder abholzen»
Es lässt sich einwenden: Immerhin errichten doch die ESG-Kriterien einen Parcours, der uns leichter erkennen lässt, wo ein Unternehmen eine Stange reißt. So bekommt der potenzielle Investor wenigstens manches Ausschlusskriterium an die Hand. Das stimmt, und es ist nicht wenig. Allerdings sollte der Investor sich im Klaren darüber sein, dass Unternehmen selbst dann oft notgedrungen einige Stangen reißen, wenn sie wichtige ESG-Ziele verfolgen. Ein Hersteller von Windrädern dient der Energiewende. Aber er dünnt auch die Vogelwelt aus und hilft, die Landschaft zu verspargeln. Die Werte geraten ins Spannungsverhältnis: Quis iudicabit? Quis interpretabitur?
Wem steht letztlich das Urteil über gut und nicht gut zu? Das sind die Fragen, die aus den Debatten über die materiale Wertethik geläufig sind. Und über allem steht als oberste Frage: Reicht das alles denn überhaupt für Nachhaltigkeit, die ihren Namen wirklich verdient? Oder doktert es nur an Symptomen herum und versucht, auf einer Glatze Locken zu drehen?
Alle Schafe sind grau
Pragmatisch lässt sich sagen: ESG-konform investieren zu wollen verschafft nicht die erhoffte magische Erlösung. Es beendet nicht die Krisenhaftigkeit der globalen Entwicklung insgesamt oder das eigene schlechte Gewissen. Es sondert nicht die weißen von den schwarzen Schafen, weil die Herde in ordentlich verfassten Gesellschaften eben eher grau ist. Aber es verspricht immerhin eine kontinuierliche Verbesserung, und es schützt den Investor vor der üblen Überraschung, mit seinem Beitrag die Welt nicht verbessert, sondern verschlimmert zu haben. Nochmals: Das ist nicht wenig.
Was lässt sich nun konkret daraus ableiten? Erstens ist aus ethischer Sicht die harte ESG-Grenze dort zu ziehen, wo Unternehmen die Legalität verletzen, beispielsweise bei Umweltvorschriften oder Korruption. Dann werden die Grenzen weicher, diffuser, individueller, weil eben nicht ökonomische Werte subjektiv sind. Der Anleger muss also für sich entscheiden, welche Werte ihm wichtig sind: Alle Schafe sind grau. Welches ist hell genug, dass es noch gefällt?
Zweitens kann der Anleger nur entscheiden, ob die ihm wichtigen Werte vertreten sind, wenn eine hohe Transparenz besteht – am besten mit Direktanlagen. Strukturierte Papiere und Fonds ähneln auch in ESG-Angelegenheiten meist einer Wurstmacherei, bei der man lieber nicht zuschaut. Je mehr unbekannte Unternehmen, je weiter der geografische und politökonomische Einzugsbereich, desto eher rutscht Unappetitliches mit hinein. Es ist besser, nur Einzelzutaten zu kaufen, deren Herkunft sich leicht beurteilen lässt.
Drittens sollte ein auf ESG-Kriterien ausgerichtetes Investment keine schlechtere Rendite abwerfen als der Marktdurchschnitt. Denn es leistet aller Wahrscheinlichkeit nach gegenüber einem nicht ESG-zertifizierten Investment nicht so viel mehr immateriell Gutes, dass ein größerer Abschlag gerechtfertigt wäre. Denn aufgepasst: Die Würste, bei denen man zwar nicht weiß, was darin ist, die aber schön verpackt sind, sind in der Regel auch zu teuer.
NILS OLE OERMANN
46, ist Professor für Ethik mit Schwerpunkt Nachhaltigkeit und nachhaltiges Wirtschaften an der Universität Lüneburg
THOMAS HAUSER
46, ist geschäftsführender Partner der Dr. Pirmin Hotz Vermögensverwaltungen AG in der Schweiz.
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