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Banker wie Spieler am Roulette-Tisch

Finanzinstitute in der Krise – Überschätzung der Prognosefähigkeit – Gefragt ist mehr Bescheidenheit

Gewaltige Verluste auf hypothekarisch gesicherten Produkten sowie weitere schwer kalkulierbare Risiken (Kreditkartenausfälle, Private-Equity-Engagements oder Finanzierungen von Geschäftsliegenschaften) bringen zahlreiche Bankinstitute in eine existenzbedrohende Situation. Wer hätte bis vor kurzem – notabene in einer konjunkturellen Hochphase – für möglich gehalten, dass renommierte Universalbanken mit Weltruf in fast panischer Eile staatliche Investoren im Nahen und Fernen Osten um Unterstützung ersuchen würden? Es ist an der Zeit, dass die massgeblichen Chefs umfassend über die Bücher gehen. Derartige Krisen dürfen sich nicht wiederholen. Sicher ist, dass die Exponenten von Banken in vielerlei Hinsicht bescheidener und realistischer werden müssen. Illusionen haben im ökonomisch orientierten Bankgeschäft nichts verloren.

Der grösste Irrtum, dem Banker systematisch unterliegen, ist die Überschätzung ihrer eigenen Prognosefähigkeit. Obwohl seit Jahrzehnten bekannt ist, dass die Mehrheit der Fondsmanager wie auch der institutionellen und der privaten Anleger passive Benchmark- oder Indexziele nicht erreicht oder übertrifft, trauen sich unzählige Gurus zu, den Kursverlauf einzelner Aktien, Märkte oder Devisen vorauszusehen. Dabei nehmen Banken und ihre Kunden erhebliche Risiken auf sich. Wenn die UBS mit einem Eigenkapital von rund 50 Mrd. Fr. Eigenanlagen von 650 Mrd. eingeht, erinnert das an einen Hasardeur, der in Las Vegas mit hohem Einsatz sein Glück beim Roulette versucht. Wenn dabei allein die Anlagen in amerikanischen Ramschhypotheken fast der Höhe des ausgewiesenen Eigenkapitals entsprechen, wirft das Fragen auf. Spielen, einem Herdentrieb folgend, viele Banken gleichzeitig Roulette, kann es eigentlich nur eine Frage der Zeit sein, bis es zu einer Systemkrise kommt. Eng verbunden mit der fast religiös indoktrinierten Prognosegläubigkeit ist die Modellgläubigkeit. Offensichtlich wurde für eine viel zu kurze Vergangenheitsperiode berechnet, wie gross die Ausfallrisiken verschiedener Subprime-Produkte sind. Aufgrund dessen, dass in den vorangegangenen Jahren kaum Hypothekardarlehen zu Ausfällen respektive Verlusten geführt haben, sind die Banken blauäugig davon ausgegangen, dass sich das in die Zukunft fortschreiben würde. Die heute fast wertlosen Ramschanleihen wurden deshalb zum Zeitpunkt des Kaufs anhand von Modellsimulationen als risikolos eingestuft.

Im Rausch von Illusionen
Das erinnert an den praxisunerfahrenen, erstsemestrigen Ökonomiestudenten, der in naiver Weise historische Kursentwicklungen in die Zukunft extrapoliert. Auch der zwischenzeitlich gescheiterte Investmentguru Dieter Behring hat übrigens sein «risikoloses» Schneeballsystem mit einem zauberhaften Computermodell begründet. Ein Vergleich mit dem hohen Abschreibungsbedarf vieler Banken mag hart sein. Der irrige Glaube an die wundersame Geldvermehrung scheint aber in der Welt der Praktiker tief verwurzelt zu sein.

Dabei müsste der Illusionsrausch eigentlich spätestens seit 1990 ein Ende gefunden haben. Damals wurde Harry Markowitz mit dem Nobelpreis geehrt. Im Kern hat Markowitz messerscharf aufgezeigt, dass die Märkte aufgrund der global hohen Informationseffizienz insbesondere in den liquiden Marktsegmenten so gut wie unprognostizierbar sind. Sein essenzieller und gleichzeitig trivialer Schluss lautet, die Risiken zu diversifizieren. Von diesen Erkenntnissen wollten die Banken profitieren. Sie propagieren seither den Kauf von alternativen Anlagen und hochverzinslichen Anleihen.

Bereits in den Neunzigerjahren gab es aber unzählige modellgläubige Praktiker, die die Erkenntnisse von Markowitz ins Gegenteil verdrehten. Sie fütterten die Maschinen, um das optimale Portfolio zu eruieren. Der japanische Aktienmarkt oder auch exotische Länder wie Korea oder Thailand wurden zur Verwunderung der Anwender zum dominierenden Segment dieser Portfolios. In blinder Unkenntnis wurde davon ausgegangen, dass ein Markt oder eine Aktie, die in der Vergangenheit eine überdurchschnittliche Performance auswies, das auch in Zukunft tun würde. Dieser Irrglaube war exakt das Gegenteil dessen, was Markowitz unter Markteffizienz und Unprognostizierbarkeit verstand. Entsprechend ernüchternd waren die damaligen Erfahrungen.

Die Illusion der Prognostizierbarkeit ist auch Ausgangspunkt der heutigen Subprime-Krise. Nach der letzten grossen Börsenbaisse in den Jahren 2001 bis 2003 haben Produktartisten verrückte Varianten von Finanzinnovationen in den Markt geschwemmt. Mit Hedge Funds, Produkten mit Absolute-Return-Charakter und strukturierten Produkten wird Investoren suggeriert, sie könnten in allen Marktphasen – ob Baisse oder Hausse – attraktive Renditen erzielen. Geködert werden die Anleger mit intransparenten und margenträchtigen Produkten sowie den immer gleichen Argumenten. Es werden hohe Renditen bei tiefer Korrelation zu traditionellen Anlagen wie Aktien und Obligationen sowie geringer Volatilität versprochen.

Marketing wird zum Bumerang
Wie wir nicht erst seit heute wissen, wurden die Erwartungen aber oft enttäuscht. Genau wie beim Erwerb von Subprime-Konstrukten wurden die vermeintlich attraktiven Risiko- und Korrelationskennziffern mit geringer Liquidität der zugrunde liegenden Anlagen erkauft. Wenn die Anbieter Rücknahmen zu beklagen haben und die Anleger zum Ausgang rennen, fällt das Kartenhaus zusammen.

Nicht nur in Hinsicht der Fortschreibung vergangener Renditereihen unterliegen die Spitzenbanker deshalb einem fatalen Irrtum. Dasselbe gilt auch auf der Risikoseite. Die Illiquidität der Anlagen ist oft das Geheimnis hinter den rechnerisch viel zu tiefen Risikokennziffern. Wenn es kaum Handel gibt, entstehen auch keine Schwankungen. Bei einem schockartigen Ereignis explodieren diese sodann in ungeahnte Sphären. Fast schon skurril wirkt das Verkaufsargument von Anbietern alternativer Produkte, die die Maxime von Markowitz, also die Diversifikation, für den Einsatz ihrer Produkte anführen.

Markowitz proklamierte die Diversifikation als Folge effizienter Märkte. Käufer von Hedge Funds, Absolute-Return-Produkten oder Subprime-Anleihen unterstellen aber das Gegenteil: ineffiziente und damit prognostizierbare Märkte! Die Banken sind Opfer ihrer Intransparenz im Umgang mit ihren eigenen Produkten und ihrer Überschätzung der Prognosefähigkeit geworden. Kreditrisiken, die die Banken aus ihren Bilanzen entfernen wollten, landeten schliesslich in geballter Ladung wieder im Körbchen derselben Institute. Die Lehren aus der vorliegenden Krise sind banal. Finanzexperten sollten bescheidener, ehrlicher und kundenorientierter denken und handeln. Im Top-Kader der Banken braucht es keine Superstars und Starverkäufer, sondern solide Schaffer. Fundamentale Erkenntnisse sollten akzeptiert und nicht ins Gegenteil verkehrt werden.

Wenn Bescheidenheit wieder eine Tugend wird, so erledigt sich auch die leidige Diskussion über die exzessiven und asymmetrisch ausgestalteten Anreizsysteme von Bankspitzenleuten von selbst. Wenn nämlich die Grenzen der Prognosefähigkeit akzeptiert werden, so gibt es keinen Grund mehr, horrende Gewinne mit absurden Bonuszahlungen zu entlohnen. Schliesslich käme wohl auch kaum jemand auf die Idee, dass die von einem Roulette-Spieler erzielten Gewinne auf Können zurückzuführen sind. Im Wissen, dass solche Gewinne nur mit gewaltigen Risiken erzielt werden können, werden die Banker – zumindest für eine gewisse Zeit – diese Hochseilaktivitäten vermeiden.


8. März 2008

Autoren

PRIMIN HOTZ
ist Gründer der Dr. Pirmin Hotz Vermögensverwaltungen in Baar. Die Firma hat 12 Mitarbeiter und betreut Private und Pensionskassen. Bei Hotz stiegen die verwalteten Vermögen um 12%.


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