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Altes Geld, neues Geld

Nutzen und Gefahren von Kryptowährungen im Vergleich zu konventionellen Zahlungsmitteln. Eine Abwägung.

Über Geld spricht man nicht, man hat es, besagt eine Redewendung. Nur: wer hat es am Ende – der Bürger oder der Staat? Venezuela enteignet seine Bürger derzeit durch geschätzte Inflationsraten von weit über 2000 Prozent. Ein Brot kostet folglich innerhalb Jahresfrist über 20mal mehr. Wer auf Zypern 2013 Erspartes von über 100 000 Euro als Bankguthaben besass, musste einen schmerzhaften Teil des Geldes für die Bankensanierung abgeben. Die Schweizerische Nationalbank (SNB) hat in den letzten Jahren 800 Milliarden Franken – das sind rund 125 000 Franken pro Bürgerin und Bürger – scheinbar aus dem Nichts geschaffen und damit Auslandanlagen gekauft. Die Europäische Zentralbank (EZB) hat

inzwischen über einen Fünftel der italienischen Staatsschulden aufgekauft. Dass angesichts dessen der Wunsch nach Geld aufkommt, das vom Staat unabhängig ist, erstaunt nicht. Auf privater Initiative beruhende, dezentral verbuchte und nach einer starren Regel geschaffene Kryptowährungen sind in diesem Umfeld geradezu ein Heilsversprechen. Doch für was ist Geld überhaupt zu gebrauchen? Wir nutzen es für drei Zwecke: Wir zahlen damit. Wir rechnen und vergleichen damit, beispielsweise bei Löhnen. Und wir bewahren Geld auf, um es später ausgeben zu können.

Der Nutzen einer breit akzeptierten Kryptowährung

Geld profitiert von einem Netzwerkeffekt. Das heisst, es ist für den Nutzer umso brauchbarer, je mehr Gegenparteien es problemlos akzeptieren. Im Netz geschaffene, universell über jegliche Staatsgrenzen einlösbare Kryptowährungen scheinen prädestiniert zu einem guten Zahlungsmittel der Zukunft: Bitcoin, Ethereum, Bitcoin Cash, Ripple, Dash, Monero können schon heute bei diversen Online-Dienstleistern und auch Detailhändlern international eingelöst werden. Die direkten Transaktionskosten, also ohne Berücksichtigung der Energiekosten, belaufen sich auf einen Bruchteil der Kosten einer über eine Bank getätigten internationalen Überweisung zwischen zwei unterschiedlichen Währungen. Wenn sich eine global akzeptierte Kryptowährung etablieren würde, wäre der Nutzen also offenkundig.

Heute blicken wir jedoch auf viele verschiedene Kryptowährungen, die unterschiedliche Eigenschaften besitzen und unterschiedliche Aufgaben erfüllen. Diese fast unüberschaubare Anzahl zersplittert den Markt, reduziert den Netzwerkeffekt und maximiert die Informationskosten. Trotz der grossen Auswahl an Kryptowährungen ist die Gesamtanzahl der damit getätigten Transaktionen im Vergleich zu allen Transaktionen minimal, denn technische Grenzen stehen im Weg. Das betrifft zuerst die bearbeitbare Menge; derzeit werden mit Bitcoin im Mittel rund 280 000 Transaktionen pro Tag abgewickelt.¹ Das traditionelle Kreditkartenunternehmen Visa dagegen wickelt pro Tag rund 220 Millionen Transaktionen ab. Zur benötigten Energie gibt es, zweitens, eine Vielzahl an Schätzungen, aber kaum verlässliche Quellen. Gesichert ist, dass eine Kryptotransaktion heute energieintensiver ist als eine Zahlung im herkömmlichen Zahlungsverkehr. Die Energiekosten werden deshalb langfristig nicht vernachlässigbar sein.

Drittens ist zu bedenken, dass es im Mittel 13 Minuten dauert², bis eine Transaktion im Bitcoin-Netzwerk als akzeptiert gilt. Wenn man an der Theke beim Bäcker steht und auf den Abschluss des Kaufes wartet, ist das ziemlich lange. Die technische Entwicklung wird die Geschwindigkeit steigern können. Derzeit ist jedoch das herkömmliche Zahlungssystem, welches über Jahrzehnte hinweg auf Massenverarbeitung sowie Geschwindigkeit getrimmt wurde und auf konventionellen Währungen wie Franken, Euro oder Dollar beruht, überlegen. Einen Nutzen bieten Zahlungen mittels Kryptowährungen jenen Konsumenten, die in Staaten mit marodem oder gar inexistentem Geldsystem leben – denn dort sind diese mitunter die einzige Möglichkeit. Neben sozialistischen Staaten wie Venezuela, Kuba und Nordkorea sind hier etwa Länder wie der Iran oder einige afrikanische Staaten zu nennen, die nicht am internationalen Währungshandel angeschlossen sind, in denen man kaum Geld an Bankomaten abheben oder mit Kreditkarte zahlen kann.

Das Problem von Kryptogeld als Wertspeicher

Als in Deutschland der Euro eingeführt wurde, rechneten die meisten Leute noch über viele Jahre den Lohn, den Preis des Autos und so weiter in Deutsche Mark um, um ein Gefühl zu erhalten, ob etwas vorteilhaft ist. Es geht also um Gewohnheiten, um Wertmassstäbe, die in den Köpfen verankert sind. Niemand denkt derzeit in Bitcoin oder Ether, auch Löhne werden nicht in Kryptowährungen verhandelt. Wenn ein Preis in Bitcoin angegeben wird, rechnet man den Wechselkurs zu einer herkömmlichen Währung aus. Bis eine Kryptowährung die Funktion als verbreitete Recheneinheit übernehmen könnte, ist es noch ein weiter Weg.

Für Geld ist insbesondere die Funktion eines Wertaufbewahrungsmittels von grosser Bedeutung. Wer 100 Franken zur Seite legt, will abschätzen können, wie viele Tassen Kaffee damit in einem Jahr bezahlt werden können. Ebenso will ein Barbetreiber abschätzen können, wie viele Tassen Kaffee er verkaufen muss, um die für 10 000 Franken auf Kredit gekaufte Kaffeemaschine abzahlen zu können. Deshalb ist die Wertstabilität einer Währung zentral. Der Kurs von Bitcoin entwickelte sich von Mitte 2017 von knapp 2500 Dollar auf gegen 20 000 Dollar im Dezember 2017. Jene, die zur Spekulation Bitcoin gekauft hatten, hat es erfreut – für Kreditnehmer in Bitcoin jedoch wäre es ein Desaster gewesen. Bis im Januar 2018 hat sich der Bitcoin-Kurs dann wieder auf rund 10 000 Dollar halbiert. Diesmal hätte es Kreditnehmer erfreut, zu spät eingestiegene Spekulanten haben signifikant an Kaufkraft verloren. In der erwähnten Zeitspanne war beim Bitcoin die prozentuale tägliche Kursveränderung von 4,2 Prozent gegen 10mal grösser als im Schweizer Aktienmarkt. Das ist keine bekömmliche Eigenschaft für ein potenzielles Wertaufbewahrungsmittel.

Eine Herausforderung für die Kontrolle des Staats

Trotz der beschriebenen Nachteile wird Kryptogeld bereits benutzt. IT-affine «Early Adopters» ebnen den Weg für die dahinterstehende, zukunftsträchtige Blockchain-Technologie. Sie bringen einen gewissen Wettbewerb zwischen Währungen in Gang und stossen die gesellschaftlich wichtige Diskussion an, was gutes und zukunftsfähiges Geld sei. Die Geldflüsse im Bitcoin-Markt können zwar über die öffentliche Blockchain nachvollzogen werden, die Eigentümer bleiben aber anonym, weshalb auch Kriminelle Kryptowährungen nutzen. Im Kontrast dazu hat der Staat den Geldfluss zwischen konventionellen Währungen strikt reguliert und hinsichtlich Geldwäscherei und Steuerehrlichkeit akribisch überwacht.

Ein Blick in die Geschichte zeigt, dass der Staat seit dem Altertum den Anspruch hat, die Kontrolle über das Geldwesen zu haben. Zum einen geht es darum, Steuern einkassieren zu können. Es ist deshalb davon auszugehen, dass – falls Kryptowährungen an Bedeutung gewinnen – der Staat diese mit Regulierungen überziehen wird. Denn derzeit herrschen nicht

gleich lange Spiesse: Je nach Ausgestaltung einer Kryptowährung könnten Steuern wie beispielsweise die Umsatzabgabe geschuldet sein; diese werden aber (noch) nicht eingezogen. Zum anderen wird mit der Herausgabe von Geld ein Gewinn erzielt, der als Seigniorage³ bezeichnet wird. Im bisherigen System ist dieser bei den Zentralbanken angefallen, bei Kryptowährungen wird die Seigniorage von den Herausgebern, also Privaten, vereinnahmt. Es ist kaum anzunehmen, dass der Staat auf dieses lukrative Geschäft kampflos verzichten wird. Neben diesen beiden Aspekten der staatlichen Mittelbeschaffung besteht ein wichtiges gesellschaftliches respektive wirtschaftliches Interesse: eine adäquate und – falls nötig – flexible Geldversorgung. Selbstverständlich missbraucht der Staat seine Macht, wenn er wie in Venezuela durch Drucken von Geld ein massives Überangebot und somit Hyperinflation schafft. Daraus abzuleiten, dass eine Geldschöpfung nach starrem Algorithmus und mit limitierter Gesamtmenge wie bei Bitcoin optimal sei, ist jedoch verfehlt. Wenn in Krisen ein erhöhter Bedarf nach Geld besteht – erinnert sei hier an die Finanzkrise –, macht es Sinn, dass die Zentralbank dieses Angebot auch bereitstellt. Andernfalls kann die Wirtschaft massiv Schaden nehmen; die Weltwirtschaftskrise der 1920er Jahre hatte dies drastisch offengelegt. Die Vorteile einer flexiblen Versorgung einer Volkswirtschaft mit Geld spricht – trotz der Missbrauchsrisiken – für eine zentrale Geldpolitik durch eine unabhängige Nationalbank.

Sicherheit und Staatsgarantien

Die dezentrale, vom Staat unabhängige Geldschöpfung nach starren Regeln wie bei Bitcoin hat zwar aus libertärer Sicht einen gewissen Charme. Sie garantiert aber keinesfalls, dass Staaten nicht versuchen werden, Einfluss zu nehmen. Es tauchten schon wiederholt Gerüchte auf, dass Staaten wie Nordkorea, Iran oder Russland versuchten, den Schürfprozess von Kryptowährungen zu beeinflussen oder Kryptocoins zu stehlen. Eine staatliche Geldschöpfung erscheint deshalb transparenter als der anonyme Schürfprozess bei Kryptowährungen. Grotesk wird es, wenn Venezuela wegen der selbstverschuldeten Hyperinflation seiner 2008 zu «Bolívar fuerte» (starker Bolívar) umbenannten Währung versucht, eine staatlich und zentral kontrollierte Kryptowährung namens Petro zu etablieren, die von Mineralölreserven gesichert sein soll. Das Versprechen, dass ein Petro mit jeweils einem Barrel (159 Liter) der Rohölreserven gesichert sein soll, erhöht die Glaubwürdigkeit dieses Unterfangens kaum.

Wiederholt wurden Guthaben von Kryptowährungen bei elektronischen Handelsplattformen gestohlen. Widersprüchlich ist dabei, dass Leute, die sich in Kryptowährungen engagieren, weil diese frei von staatlichem Zwang sind, nach verstärkter staatlicher Aufsicht über solche Handelsplattformen rufen. Auch die Finanzkrise hat gezeigt, dass beim Reissen sämtlicher Stricke alle nach dem Staat rufen: Banken wurden gerettet; und selbst jene, die dies kritisierten, brachten ihr Geld bei einer Bank mit Staatsgarantie in Sicherheit oder verteilten ihre Guthaben auf so viele Banken, dass sie durch die Einlagensicherung von 100 000 Franken pro Bank und Kunde gedeckt gewesen wären. Sieht Eigenverantwortung nicht anders aus? Jein. Selbstverständlich sind Staatsgarantien bei Banken, seien diese explizit oder implizit, systemfremd und zu vermeiden. Aber: wer heutzutage viele Banknoten hortet, macht sich verdächtig, obschon Banknoten das einzige gesetzliche Zahlungsmittel sind4. Das elektronische Zahlungssystem wie Kreditkarten, Debitkarten und Online-Zahlungen basiert jedoch auf den Sichtguthaben. Deshalb halten wir heute üblicherweise unser Geld grösstenteils als Guthaben bei Banken. Faktisch sind wir also gezwungen, bei einer Bank Geld zu hinterlegen, welches dann als Guthaben dem Bonitätsrisiko der Bank unterliegt. Oder kurz: wenn die Bank pleitegeht, ist das nicht durch den Einlegerschutz gedeckte Geld weg.

Elektronisches Zentralbankgeld

Das Dilemma, dass Banknoten das einzige gesetzliche Zahlungsmittel sind, die grosse Mehrheit der Transaktionen aber mit Guthaben bei Geschäftsbanken ausgeführt wird, liesse sich durch elektronisches Zentralbankgeld lösen. So prüft beispielsweise Schweden die Einführung einer E-Krone, und auch das in den Euro eingebundene Estland denkt laut darüber nach, ob im Zuge der E-Residency ein Estcoin Sinn machen würde. Ob dahinter die

Absicht steht, das Bargeld komplett abzuschaffen, lässt sich nur mutmassen. Bargeld bietet der Bürgerin und dem Bürger aber Schutz, beispielsweise vor Negativzinsen, überbordender Kontrolle von Finanztransaktionen oder auch dem Bail-in bei Bankenrettungen wie auf Zypern. Ironischerweise kann der Bedarf nach anonymen Kryptocoins zunehmen, je mehr der Staat mittels Bargeldverbots oder staatlicher E-Währungen die Kontrolle zu erhöhen versucht.

Die Schweizerische Nationalbank SNB hält sich beim Thema E-Franken noch zurück. Die möglichen Gründe: erstens ist die Blockchain-Technologie noch zu jung; es fehlen die Erfahrungen, um damit Zentralbankgeschäfte machen zu können. Zweitens würde die SNB allenfalls den Geschäftsbanken die Basis für das Kreditgeschäft schwächen, wenn jedermann statt Sichtguthaben E-Franken halten könnte. Drittens würde das Risiko eines digitalen Bank-Runs in Krisenzeiten erhöht und damit das Bankwesen geschwächt. Dennoch wird geforscht in diesem Bereich: Unter der Federführung der UBS arbeiten mehrere internationale Grossbanken an einem Projekt für digitales Bargeld, welches «Utility Settlement Coin» (USC) genannt wird. Dieser USC soll eins zu eins mit einer konventionellen Währung wie Franken, Euro, Dollar oder Pfund unterlegt sein. Er wird von den Projekt­verantwortlichen als Zwischenschritt zu digitalem Zentralbankgeld gesehen. Die Zukunft wird hier sicher noch viel Neues bringen.

Bisher standen Kryptowährungen vor allem im Fokus wegen den damit getätigten Spekulationen. Deren zentrale Errungenschaft ist jedoch das Aufzeigen des Potenzials der Blockchain-Technologie: digitale Emissionen von Anleihen, das Verbuchen von Wertschriften, das Führen von Aktienregistern sind mögliche künftige Anwendungsfelder. Das Bankwesen wird sich dadurch in den nächsten Jahren mutmasslich stark verändern. Was sich indes kaum ändern wird, ist, unabhängig davon, wie dieses Geldwesen aussehen wird, dass der Staat die Kontrolle darüber behalten will. Ob er diese Kontrolle auch in Zukunft ausüben kann, wird sich zeigen.


1. Juni 2018

Autoren

Thomas Hauser
ist promovierter Ökonom und arbeitet als geschäftsführender Partner der Dr. Pirmin Hotz Vermögensverwaltungen AG.


Kategorien
  • Alternative Anlagen
  • Diversifikation

Quellen
  1. blockchain.info/de/charts, Durchschnitt über die letzten 12 Monate bis Ende Februar 2018.
  2. blockchain.info/de/charts, Durchschnitt über die letzten 12 Monate bis Ende Februar 2018.
  3. Als Seigniorage (historisch auch Münzgewinn, Schlagschatz oder Schlagsatz) wird der von der Zentralbank erzielte Gewinn bezeichnet, der durch die Emission von Zentralbankgeld entsteht.
  4. Bundesgesetz über die Währung und die Zahlungsmittel, Art. 2: Münzen, Banknoten und Sichtguthaben bei der SNB.