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Aktien sind heute so attraktiv bewertet wie selten in der Vergangenheit

Wie die unabhängigen Vermögensverwalter André Kistler und Pirmin Hotz dieses Jahr anlegen

NZZ am Sonntag: Was hat Sie 2014 am meisten überrascht?
André Kistler: Wir hatten zwar einen weiteren Zinsrückgang als möglich erachtet, aber das Ausmass hat uns überrascht. Die Stärke des Ölpreiseinbruchs ist ebenfalls bemerkenswert. Beide Vorgänge sind spiegelbildlich für die andauernden deflationären Strömungen auf unserem Globus.
Pirmin Hotz: Wir hätten nicht für möglich gehalten, welche Risiken viele Anleger ungeniert und unkritisch auf ihrer Jagd nach Rendite bereits wieder eingehen. Die drastische Erosion der Zinsen im abgelaufenen Jahr, die nur aufgrund einer langfristig fragwürdigen Politik der Notenbanken Realität werden konnte, hat uns ebenso überrascht.

2014 war ein gutes Anlagejahr. Was haben Ihre Schweizer Kunden in einem Portfolio mit 50% Aktienanteil verdient?
Hotz: Die sehr restriktive und konservative Ausrichtung bei den Obligationen hat unser Renditepotenzial limitiert. Die durchschnittliche Rendite in einem gemischten Portfolio betrug bei vergleichsweise tiefen Risiken rund 5,5%.
Kistler: Rund 8%. Vor allem auch im Hinblick auf die Nullteuerung war 2014 also ein exzellentes Anlagejahr.

Für 2015 sind sich viele Experten einig: Solides, aber regional uneinheitliches Wachstum, erster Zinsschritt in den USA, aber insgesamt sehr tiefe Zinsen, steigender US-Dollar und erneut gute Aktienmärkte. Stimmen Sie zu?
Kistler: In der Regel fühlen wir uns wohler, wenn wir vom Konsens deutlich abweichen. Bezüglich der Dollar- und Zinsprognose hat sich diese Differenz verringert, aber bei den Aktienmärkten heben wir uns nach oben noch immer stark von der Marktmeinung ab. Es gilt nach wie vor: Unternehmenswelt top, Staatenwelt Flop.
Hotz: Im Gegensatz zu Aktien befinden sich die Obligationenmärkte, insbesondere Ramschanleihen, und zunehmend auch Immobilien in einer Blase, die früher oder später platzen wird. Wenn die Zinsen in den kommenden Jahren auf dem Nullpunkt verharren werden, gehen wir von weiter steigenden Aktienkursen aus. Selbst wenn sich im sehr unwahrscheinlichen Fall Aktien nochmals im Preis verdoppeln sollten, beträgt allein die Dividendenrendite immer noch das Mehrfache dessen, was der Anleger mit Obligationen erhält.

Wenn einheitliche, positive Meinungen herrschen, ist die Gefahr oft gross, dass es Enttäuschungen gibt.
Kistler: Trotz den Kursanstiegen waren die Aktienmärkte selten so attraktiv bewertet wie heute. Die Risikoprämie für Schweizer Aktien liegt mit 6% weit über dem historischen Schnitt von rund 3%, und auch die reale Dividendenrendite unserer Depots steht mit 3% auf Rekordniveau.
Hotz: Vorab muss mit dem Irrglauben aufgeräumt werden, die Hausse der Aktienmärkte sei primär getrieben durch die tiefen Zinsen. Den Unternehmen geht es prächtig, die Bewertung ist fair, die Risikoprämie gegenüber Festverzinslichen hoch, und die Dividendenrenditen sind attraktiv. Selbstverständlich lauern, weil wir die Zukunft nicht kennen, ständig Gefahren: eine unerwartete Wachstumsschwäche, Gewinneinbrüche bei führenden Unternehmen, politische Risiken oder ein unerwartet starker Inflationsanstieg.

Schöpfen Sie also weiter die Aktienquoten aus?
Kistler: Wir bleiben bei unserer Übergewichtung von Aktien. Die Unternehmen werden in den nächsten Jahren ihr Gewinnniveau zumindest halten können. Und wir erkennen strukturelle Gründe, weshalb das globale Zinsniveau nachhaltig tief bleiben wird. Man muss sehen, dass wir in einer grundlegend neuen Epoche leben. Nie war die Globalisierung derart intensiv wie heute. Das Internet liberalisiert die Welt, den Handel, den Wettbewerb und die Bildung. Die globale Staatsverschuldung eilt kaum gebremst von Rekord zu Rekord. Statt echte Reformen durchzuführen, werden die Märkte mit Geld geflutet. Diese Faktoren wirken deflationär und zinsdrückend. Überall sind die Margen unter Druck, nur die Aktienrenditen stehen noch immer auf Rekordhoch! Bei Aktien besteht trotz hohen Kursen noch ausserordentlich viel Potenzial.
Hotz: Da es schlicht keine Alternative zu erstklassigen Aktien gibt, halten auch wir an unserer Übergewichtung fest. Zurzeit nutzen wir die Schwäche im Rohstoffsektor, um dividendenstarke Marktführer aus dem Öl und Bergbausektor antizyklisch auf- und auszubauen. Wir verfolgen einen internationalen Branchenansatz, wobei wir nach sehr restriktiven Kriterien die weltweiten Marktführer selektionieren, welche über viele Jahre nachhaltigen Erfolg bewiesen haben. Eine attraktive Bewertung und Dividendenrendite sowie eine gesunde Bilanz und ein kompetentes Management sind uns wichtig. In der Schweiz setzen wir zusätzlich auf einige ausgewählte Nebenwerte.

Werden Sie weiter in Schweizer Nebenwerte mit starken Aktionären investieren, oder zwingt Sie der Fall Sika, wo Minderheitsaktionäre bös gelitten haben, zum Umdenken?
Hotz: Aufgrund einer langfristig sehr guten Performance werden wir auch in Zukunft in ausgewählte Unternehmen investieren, die über starke Kernaktionäre verfügen. Allerdings hat der Fall Sika in aller Deutlichkeit gezeigt, dass wir uns in Zukunft noch kritischer mit den Absichten dominierender Kernaktionäre beschäftigen müssen. Die Ungleichbehandlung verschiedener Kapitalgeber ist ein Relikt des schweizerischen Finanzplatzes, das dringend abgeschafft werden muss.
Kistler: Wir halten selbstverständlich an unserem Kurs fest, Unternehmensqualität ist oberstes Gebot. Das Sika-Ereignis ist ein seltener Fall und wird Nachahmer abschrecken.

«Wir halten für unsere Kunden rund 10 Prozent Liquidität, um bei Kursrückschlägen Aktien zukaufen zu können.»

Sie investieren beide in Einzelaktien, nicht in Index-Aktien. Können Sie nach Kosten ein ETF-Portfolio übertreffen?
Kistler: Über die letzten sieben Jahre haben wir sowohl den Pictet BVG 2000 als auch den CS-Pensionskassen-Index übertroffen. Unsere Schweizer Aktienportfolios haben den SPI seit dem Jahr 2000 um rund 60% hinter sich gelassen.
Hotz: Absolut. Wer indexiert anlegt, investiert prozyklisch. Zur Jahrtausendwende haben Indexanbeter 20% in die sogenannte New Economy investiert, die nach dem Platzen der Dotcom-Blase faktisch wertlos wurde. Mit unserem antizyklischen Ansatz, der Klumpenrisiken vermeidet und damit besser diversifiziert ist, schlagen wir langfristig ein passives Indexportfolio. 2014 war hingegen ein Jahr für die Indexierer. Wer nicht mit mindestens 50% in Amerika investiert war oder in der Schweiz nicht mit mindestens 20% in Novartis, hatte es schwer.

Was ist Ihre Strategie für den Nicht-Aktienanteil in Ihren Portfolios?
Hotz: Das zinslose Umfeld wird zur ganz grossen Herausforderung des nächsten Jahrzehnts werden. Dabei werden wir unseren Prinzipien treu bleiben. Wir kaufen ausschliesslich Obligationen von Unternehmen und Staaten, die auch nach Beendigung der Nullzinspolitik imstande sein werden, ihre Schulden zurückzuzahlen. Wir bevorzugen kurze und mittlere Laufzeiten. Wir halten überdies gegen 10% Liquidität, um bei Rückschlägen Aktien zuzukaufen.
Kistler: Anleihen bilden einen wirksamen deflationären Schutz. Unsere Franken Bondportfolios weisen Realrenditen von rund 1% auf, die durchschnittliche Laufzeit halten wir bei 5 bis 6 Jahren. Um bei Kursrückgängen Aktien nachkaufen zu können, halten wir eine überdurchschnittlich hohe Liquiditätsquote.

Null-Zinsen auf dem Konto treiben viele Anleger in alternative Anlagen. Was raten Sie?
Kistler: Aus Kosten- und Transparenzgründen investieren wir nur in die Originale, in Aktien, Anleihen und Liquidität.
Hotz: Der vielleicht grösste Fehler, den ein Anleger jetzt machen kann, ist, dass er bisher konservativ gehaltene Konto- und Obligationengelder in riskante, illiquide, intransparente und oft mit kontaminierten Rückzahlungsmodalitäten versehene Produkte umschichtet, die Banken wieder mit Hochdruck verkaufen.

Interview: Fritz Pfiffner


4. Januar 2015

Autoren

PRIMIN HOTZ
ist Gründer der Dr. Pirmin Hotz Vermögensverwaltungen in Baar. Die Firma hat 12 Mitarbeiter und betreut Private und Pensionskassen. Bei Hotz stiegen die verwalteten Vermögen um 12%.

ANDRE KISTLER
ist Mitbegründer der Albin Kistler AG in Zürich, die 26 Mitarbeiter hat.


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