«Grosse Wendepunkte verlaufen immer unbemerkt»
NZZ am Sonntag: Wo lagen Sie mit Ihren Prognosen im Crash-Jahr 2008 richtig und wo falsch?
Pirmin Hotz: Die Korrektur überhitzter Rohstoffpreise, die Blase in China und anderen Schwellenländern sowie die Abschwächung des Euro haben wir erwartet. Überrascht worden sind wir vom kollektiven Versagen der globalen Banken-Gilde, welches zu einer Systemkrise führte.
Andre Kistler: 2008 war für Value-Investoren ein miserables und vor allem frustrierendes Aktienjahr. Obwohl unser Makro-Szenario die grossen Tendenzen fast perfekt voraussagte, erlitten unsere Kundendepots erhebliche Einbussen. Der synchrone Niedergang diverser Anlagekategorien sowie aller Weltbörsen verunmöglichte es, die Depots vor dem Jahrhundert-Einbruch zu schützen. Zusammengefasst: Die Tendenzen erfassten wir richtig, das Ausmass der Rückschläge haben wir allerdings deutlich unterschätzt.
Wie viel haben Ihre Schweizer Kunden mit mittlerer Risikofähigkeit (Balanced Portfolio) verloren?
Kistler: 14 bis 20% bei einem neutralen Aktienanteil von 50%. Diese Zahl vergleicht sich zwar gegenüber den Benchmarks positiv (die Strategiefonds der Universalbanken verloren 20 bis 25%), aber dies ist die mit grossem Abstand deutlichste Werteinbusse in der Geschichte unserer Firma.
Hotz: Im Durchschnitt betragen die Verluste für Kunden mit gemischten Portfolios 14%.
«Der synchrone Nieder-gang diverser Anlagen sowie aller Weltbörsen Verunmöglichte es, die Depots zu schützen.»
Was haben Sie 2008 an der Anlagepolitik geändert?
Hotz: Unsere langfristig ausgerichtete Anlagepolitik bewährt sich seit über zwei Jahrzehnten, so dass sich auch in dieser Krise keine fundamentalen Veränderungen aufdrängen. Im Verlauf des letzten Quartals haben wir individuell die Aktienquote antizyklisch erhöht, um nach den historischen Verwerfungen des letzten Jahres für eine Erholung der Märkte positioniert zu sein.
Kistler: Mit permanenter Feinsteuerung versuchen wir unsere Kundendepots kontinuierlich zu optimieren. Sell high, buy low. Wir realisierten hohe Gewinne im Industrie- und Bankenbereich und verstärkten unsere Engagements in den günstig gewordenen Qualitätsunternehmen wie Coca-Cola, Johnson & Johnson, Pfizer, Anglo American, Helvetia, Sika oder Bucher. Mit selektiven Umschichtungen gelang es uns, die erwartete durchschnittliche Dividendenrendite unserer Kundendepots auf gegen 4 Prozentpunkte zu erhöhen.
Was sind 2009 die grossen Trends?
Kistler: Wirtschaftliche Korrekturen sind notwendig und schaffen die Basis für Wohlstand. Die rasant um sich greifende Krise ist allerdings ohne Beispiel. Wir erleben einen schockartigen Einbruch der globalen Konjunktur. Schmerzhafte Insolvenzen, hohe Arbeitslosigkeit, rekordtiefe Zinsen sowie soziale Proteste werden das neue Jahr prägen. Statt die dringend notwendigen Strukturbereinigungen zuzulassen, werden diese durch die panikartig erlassenen Konjunktur- und Hilfspakete jedoch nur verzögert. Doch es gibt eine positive Kehrseite: Je ausgeprägter Lagerabbau, Rohstoff-Baisse, Konsum-Aufschub und negative Spiralen ausfallen, desto massiver bauen sich die Gegenkräfte auf. Jeder Zyklus hat ein Ende. Die inhärenten Kräfte der Globalisierung werden sich ab 2010 belebend auswirken.
Hotz: Die weltweite Rezession wird von einer einschneidenden Entschuldung (Deleveraging) der angeschlagenen Finanzinstitute begleitet sein. Primär wird wichtig sein, dass in der Bankenwelt wieder Vertrauen entsteht, damit die Wirtschaft wieder wachsen kann.
Was kann das Anlegervertrauen wieder heben?
Hotz: Vertrauen lässt sich nicht verordnen. Viele Kunden fühlen sich zu Recht schlecht beraten. Der Schlüssel zum Vertrauen liegt in einer ehrlichen, transparenten, qualitativ hochklassigen und kosteneffizienten Anlagepolitik.
Kistler: Grosse Wendepunkte verlaufen immer ruhig und unbemerkt. Wenn die Zeit reif ist, genügt meist nur ein Schmetterlingsflügelschlag, der im Laufe des Jahres 2009 irgendwann erfolgen dürfte. Entscheidend ist, bei tiefen Preisen für Unternehmen investiert zu sein. Wer darauf spekuliert, zu Tiefstkursen zu kaufen, läuft grosse Gefahr, den Aufschwung zu verpassen. Alle 5–7 Jahre sehen wir eine schwere Krise an den Märkten.
Lohnt es sich da nicht, in sicheren Anlagen zu bleiben?
Kistler: Langfristig sind Aktien das sicherste Anlagemedium. Wer diversifiziert in erstklassigen Unternehmen investiert ist, wird in Aufschwungphasen immer mehr Erträge erzielen, als er Verluste in Baissen erleidet. Die langjährige kumulierte Rendite ausgewogener Wertpapierdepots ist selbst unter Einbezug der jetzigen Baisse höchst erfreulich. Sogar unsere reinen Aktienportefeuilles haben seit dem Jahr 2000 noch immer um mehr als 40% zugelegt.
Hotz: Trotz regelmässigen Krisen werfen Aktien in der langen Frist zwischen 8 und 10% auf Jahresbasis ab. Darüber hinaus hat die jetzige Krise in aller Deutlichkeit aufgezeigt, wie unsicher selbst vermeintlich sichere Anlagen wie Kapitalschutzprodukte oder Kontoguthaben bei einer Bank werden können. Eine absolute Sicherheit gibt es nicht.
Wie sieht die Aufteilung der Anlageklassen für einen Anleger mit mittlerer Risikofähigkeit und einem Anlagehorizont von zehn Jahren aus?
Hotz: Ein Anleger mit Referenzwährung Franken hält 50% Aktien, davon 20% in der Schweiz, 15% in Europa, 10% in Amerika und 5% in Japan. 46% investieren wir in Franken und 4% in Dollar-Obligationen mit erstklassiger Bonität.
Kistler: Aktien 50%, Anleihen 45%, Liquidität 5%. 85% Schweizerfranken, 15% diverse Währungen. Bei den Unternehmen legen wir den Fokus auf erstklassige Marktstellung, erstklassige Bilanz, geringe Verschuldung, hohe und sichere Dividendenrendite.
Was ist Ihre Aktienstrategie?
Kistler: Die wirtschaftlichen Aussichten sind äusserst düster, was sich auch in den extrem gedrückten Aktienkursen widerspiegelt. Dies ist für uns ein Umfeld, in welchem wir viele erstklassige Unternehmen zu einem erstklassigen Preis kaufen können. Wir haben einen sehr langfristigen Anlagehorizont, das Market-Timing spielt eine untergeordnete Rolle. Wir haben gelernt, mit Konjunkturzyklen zu leben, und verstehen uns als Partner der Unternehmen, in welche wir investieren. Den nächsten fünf Jahren kann mit grossem Zutrauen entgegengesehen werden. Unser Worst-Case-Szenario sieht zwar einen nochmaligen Einbruch der Märkte um bis zu 20% vor, doch dieses Zwischenspiel interessiert uns nur am Rande.
Hotz: Wir investieren konsequent in Direktanlagen mit solider Qualität und breiter Risikostreuung. Nach den Verwerfungen des vergangenen Jahres erhöhen wir die Aktienquote anti-zyklisch. Für Banken und Versicherungen bleiben wir vorsichtig.
«Anlegervertrauen lässt sich nicht verordnen. Viele Kunden fühlen sich zu Recht schlecht beraten.»
Sie stehen Hedge-Funds kritisch gegenüber. Und doch haben die Funds-of-Funds 2008 nur die Hälfte eines Welt-Aktien-Portfolios verloren. Müssen Sie über die Bücher gehen?
Kistler: Nein. Sowohl unsere Aktien- wie auch die gemischten Depots rentieren im Mehrjahresvergleich deutlich besser als Hedge-Funds, sind transparent, liquide und verfügen erst noch über eine klar überlegene Kostenstruktur. Weil Schliessungen und Konkurse von Hedge-Funds nicht mehr einbezogen werden, sind deren effektive Performance-Daten noch schlechter als ausgewiesen.
Hotz: Nein, im Gegenteil. Wir sind froh, immer schon auf diese intransparenten, margenträchtigen und oft illiquiden Produkte verzichtet zu haben. Das Konzept der Erzielung marktunabhängiger, absoluter Rendite, welches oft als Alternative zu Festverzinslichen angepriesen wurde, ist definitiv gescheitert.
Anleihen sind in den Depots wichtig. Was ist Ihre Obligationen-Strategie?
Hotz: Wir sind glücklich, bei den Obligationen, die wir ebenfalls ausschliesslich über Direktanlagen halten, immer strikte Sicherheit vor Rendite zu stellen. Die konsequente Fokussierung auf erstklassige Schuldner mit 2- bis 5-jähriger Laufzeit wird auch in diesem Jahr unsere Politik sein.
Kistler: Das vorherrschende Klima bleibt vorerst stark deflationär. Trotz rekordtiefem Niveau rechnen wir bei den Kapitalmarktzinsen mit einem weiteren Absinken. Wir investieren in erstklassige Unternehmensanleihen. Staatsanleihen kaufen wir nicht mehr.
Was halten Sie von Gold?
Kistler: In grösseren Wertpapierdepots können ein oder zwei Kilo Gold als Ergänzung zu den strategisch gehaltenen Öl- und Rohstoffaktien beigefügt werden.
Hotz: Gold hat nicht nur über sehr lange Zeit enttäuscht, sondern sogar in dieser dramatischen Finanzkrise. Gegen das physische Halten einiger Goldminenaktien oder Goldmünzen ist jedoch nichts einzuwenden.
Interview: Fritz Pfiffner
PRIMIN HOTZ
ist Gründer der Dr. Pirmin Hotz Vermögensverwaltungen in Baar. Die Firma hat 12 Mitarbeiter und betreut Private und Pensionskassen. Bei Hotz stiegen die verwalteten Vermögen um 12%.
ANDRÉ KISTLER
ist Chefstratege und Gründungspartner der Albin Kistler AG in Zürich. Der Vermögensverwalter betreut institutionelle wie private Kunden, beschäftigt 30 Leute und meldet erfreuliche Neugeldzuflüsse.
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