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Gewinnpotenzial wird unterschätzt

Die unabhängigen Vermögensverwalter André Kistler und Pirmin Hotz schliessen im neuen Jahr Korrekturen an den Aktienmärkten zwar nicht aus, sind aber trotzdem optimistisch

NZZ am Sonntag: Aktien hatten ein Superjahr. Hatten Sie in Ihren Portfolios die Aktienquote voll ausgeschöpft, und wie viel haben Schweizer Kunden mit 50% Aktienanteil verdient?
Pirmin Hotz: Da wir Aktien übergewichtet und nach Rückschlägen im Frühsommer sogar antizyklisch dazugekauft haben, konnten wir von der Hausse voll profitieren. Ein gemischtes Portfolio hat zwischen 10 und 12% Rendite abgeworfen.
André Kistler: Schon seit längerer Zeit lautet die Kernformel: Staatenwelt flop, Unternehmenswelt top. Wir hielten die Aktienquote bei den ausgewogenen Depots konstant zwischen 50 und 55%. Die Streuung der Performance war unüblich hoch und betrug rund 6 bis 9%. Das Resultat wurde mit einer Liquidität von 10%, höchster Qualität bei Anleihen sowie defensiven Aktien erzielt.

Für 2014 sind viele Experten für Aktien optimistisch. Sie auch?
Kistler: Kurzfristige Prognosen tragen Zufallscharakter. Wenn fast sämtliche Auguren dieselbe Meinung vertreten, dann kommt es meistens anders heraus. Langfristig bestimmen dagegen die Unternehmensgewinne die Kurse. Die epochalen Globalisierungseffekte sind nachhaltig, zudem werden aufgestaute Investitions- und Konsumausgaben die Weltkonjunktur entscheidend antreiben. Das langfristige Gewinnpotenzial der Aktienmärkte wird vermutlich noch immer unterschätzt! Unser Fünf-Jahres-Szenario mit einem Zinsanstieg von 150 Basispunkten, 7% jährlichem Wachstum der Unternehmensgewinne und einer Aktienrisikoprämie von 3,5% ergibt ein Aktienindex-Potenzial für den SPI von rund 50%.
Hotz: Es gibt gute Gründe, weiter auf Aktien zu setzen. Die Unternehmensergebnisse entwickeln sich erfreulich, die Dividendenrenditen sind attraktiv, und die Unternehmensbilanzen sind, abgesehen von Teilen der Finanzbranche, sehr solid. Aber im Stil der beiden vergangenen Jahre wird es nicht weitergehen. Es wird auch wieder Korrekturen geben, die überraschend kommen.

Wenn zu viel Optimismus herrscht, ist die Gefahr gross, dass es Enttäuschungen gibt. Werden Sie bei den Aktien Ihre Quoten halten, aufstocken oder gar reduzieren?
Hotz: Aktien sind sowohl in den USA wie auch in Europa zwar nicht mehr billig, aber fair bewertet. Die Risikoprämie von Aktien gegenüber Obligationen ist nach wie vor sehr hoch. Wir nutzen aber seit einiger Zeit die starken Kursgewinne dazu, mit Teilverkäufen die Aktienquote wieder in Richtung der langfristigen Strategie zurückzuführen. Diese antizyklische Haltung ändert aber nichts daran, dass wir langfristig für Aktien optimistisch bleiben.
Kistler: Wir halten unverändert an unserer Gewichtung fest. Bei starken Marktschwankungen passen wir die Quote jeweils periodisch wieder der 50%-Marke an. Dies diszipliniert uns. Wir verfolgen also wie Pirmin Hotz ein Rebalancing-Modell und halten für die Umsetzung einen Liquiditätsanteil von 10% bereit.

Viele Anleger haben Aktien gemieden. Raten Sie denen, jetzt doch in Aktien einzusteigen?
Kistler: Ja, wir raten zu einem stufenweisen Einstieg. Aktien sind langfristig die mit grossem Abstand attraktivste Anlagekategorie. In der Unternehmenswelt findet die monetäre Wertschöpfung unseres Planeten statt. Die heutige durchschnittliche Unternehmensgewinn-Rendite für erstklassige Firmen und Konzerne beträgt beeindruckende 6,5%, dies in einem preisstabilen Umfeld!
Hotz: Emotional kann ich verstehen, dass sich nach zwei monumentalen Börsenbaissen und spätestens während der Schuldenkrise viele Anleger von der Aktie verabschiedet haben. Dabei vergessen sie allerdings, dass es in den vergangenen 70 Jahren keine einzige Zehn-Jahres-Periode gegeben hat, in der Schweizer Aktien Verluste erlitten. Wer die Hausse verpasst hat, soll in den nächsten 12 bis 18 Monaten bei Rückschlägen sukzessive gestaffelt kaufen.

2014 werde die Aktienauswahl anspruchsvoller, sagen unisono die Experten. Was ist Ihre Aktienstrategie?
Hotz: Wir setzen konsequent auf international ausgerichtete Marktführer, die in ihrer Branche in die Champions League gehören. In der Schweiz investieren wir zusätzlich in interessante Nebenwerte, die wir in der Tiefe analysieren. Da wir insgesamt zwischen 20 und 40 Aktien in der Tendenz gleich gewichten, profitieren wir von einer im Vergleich zu passiven Indizes deutlich verbesserten Diversifikation ohne Klumpenrisiken. In Banken- und Versicherungswerten sind wir untergewichtet, da deren Unterlegung mit Eigenkapital unseren harten Anforderungen nicht genügt.
Kistler: Die Auswahl der vor allem langfristig besten Firmen dieser Welt ist immer anspruchsvoll. Einfaches Geschäftsmodell, solide Marktführerschaft, erstklassige Bilanz, nachhaltige Erträge und tiefe Bewertungen sind gefragt.

Viele Anleger schauen bei Aktien primär auf eine hohe Dividendenrendite. Ist das nicht gefährlich?
Kistler: Doch, natürlich! Das allerwichtigste Merkmal einer guten Aktie sind langfristig sichere Unternehmensgewinne.
Hotz: In der Tat darf die Dividendenrendite nur eines von mehreren Kriterien zur Aktienselektion sein. Denn sehr hohe Dividendenrenditen sind nicht selten Ausfluss einer mangelnden Wachstumsphantasie oder einer verschlechterten Geschäftsentwicklung, die eine entsprechende Kurserosion zur Folge hat. Die Vermarktung von Produkten mit einseitigem Fokus auf die Dividendenrendite ist ein Modetrend und Marketing-Gag.

«Wer die Hausse verpasst hat, sollte in den nächsten 12 bis 18 Monaten bei Rückschlägen kaufen.»

Bei den Obligationen hat man nur mit Anleihen schlechter Bonität gut verdient. Hatten Sie diese auf Ihrer Rechnung?
Kistler: Nein. Die Vermeidung von Risiken hat bei uns oberste Priorität. Wir führen für den gesamten inländischen Bondmarkt eigene Bonitäts-Analysen durch und erreichen so eine Mehrrendite.
Hotz: Auch wir lehnen Anlagen in Ramschanleihen strikte ab. Stattdessen verlagern wir dieses Risikobudget lieber in eine erhöhte Aktienquote. Es ist doch paradox: Anleger ärgern sich einerseits über die kolossale Verschuldung vieler Staaten, die Rettung von Banken durch Steuerzahler und über die gefährliche, seit Jahren anhaltende Flutung der Märkte mit Liquidität durch die Notenbanken. Andererseits kaufen sie auf der Jagd nach Rendite bedenkenlos exakt solche Schrottobligationen von Staaten, Unternehmen sowie Banken, die nach wirtschaftlichen Kriterien eigentlich klinisch tot sind.

Was ist nun Ihre Strategie für den Nichtaktienteil in Ihren Portfolios?
Hotz: Was nicht in Aktien investiert wird, geht konsequent in Anleihen mit besten Bonitäten sowie in Liquidität. Aufgrund der historischen Tiefzinssätze essen wir da zurzeit hartes Brot. Um gegen weitere Zinserhöhungen gewappnet zu sein, halten wir bei den Obligationen eine sehr kurze Laufzeitenstruktur.
Kistler: Der jahrzehntelange Zinssenkungs-Prozess liegt definitiv hinter uns, dennoch erwarten wir im Frankenbereich vorerst keinen massiven Teuerungs- oder Zins- anstieg. Wir erzielen für sicherheitsbewusste Anleger mit einer leicht verkürzten Laufzeitenstruktur eine attraktive Realrendite von rund 1,5%. Das Risiko von Kursverlusten wird von den Anlegern überschätzt. Gute Anleihen werden bei pari zurückbezahlt, die allfälligen Zinsnachteile von ein paar Zehntelpunkten sind in aller Regel verkraftbar.

 Die tiefen Zinsen treiben viele Anleger in strukturierte Produkte und alternative Anlagen wie Hedge-Funds und Private Equity. Zu Recht?
Hotz: Das tiefe Zinsniveau darf nicht zu einer Abkehr von einer langfristig bewährten Anlagestrategie führen. Intransparente und oft illiquide Hedge-Funds sowie die meisten Private-Equity-Gefässe haben sowohl aus Kosten- wie aus Risikogründen keine Existenzberechtigung für private Anleger. Dasselbe gilt für strukturierte Produkte, die bei einer Eintrübung des Börsenklimas zu eigentlichen Risikobomben mutieren.
Kistler: Gleiche Meinung: Derivate erbringen vor allem dem Emittenten risikolose und hohe Erträge. Privatanleger sollen sich an das Original halten, also Aktien und Anleihen von erstklassigen Unternehmen.

Interview: Fritz Pfiffner


5. Januar 2014

Autoren

PRIMIN HOTZ
ist Gründer der Dr. Pirmin Hotz Vermögensverwaltungen in Baar. Die Firma hat 12 Mitarbeiter und betreut Private und Pensionskassen. Bei Hotz stiegen die verwalteten Vermögen um 12%.

ANDRE KISTLER
ist Mitbegründer der Albin Kistler AG in Zürich, die 26 Mitarbeiter hat.


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