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Nach der Dekade der Anleihe ein Jahrzehnt der Aktie

Auch 2013 bleiben die Schwankungen an den Märkten wohl hoch. Die unabhängigen Vermögensverwalter André Kistler und Pirmin Hotz sehen aber mittelfristig grosses Potenzial für Aktien erstklassiger, global tätiger Unternehmen

NZZ am Sonntag: Ein Blick zurück: Warum wurde allen Schwarzmalern zum Trotz 2012 zu einem prächtigen Anlage-Jahrgang?
André Kistler: Weil die Welt nicht nur aus Europa besteht. Die grossen Schwellenländer sind die neuen Konjunktur-Lokomotiven und sorgen für die grossartige Entwicklung der globalen Unternehmen. Das tiefe Zinsniveau hat wie erwartet zu einer Höherbewertung der Sachwerte wie Aktien und Immobilien geführt. Die Geldspritzen des Fed und der EZB gaben der Hausse den letzten Schub.
Pirmin Hotz: Vor einem Jahr war die Risikoaversion der Anleger so hoch, dass es an den Märkten eigentlich nur besser kommen konnte. Viele Investoren, welche die Erholung an den Aktienmärkten verpasst haben, sind nun prozyklisch auf den fahrenden Zug aufgesprungen. Sie haben realisiert, dass es vielen Unternehmen prächtig geht und die Aktie als langfristig attraktive Realwertanlage auch den besten Inflationsschutz bietet.

Die grossen Gewinner waren die meisten Aktienmärkte und Anleihen mit schlechter Bonität. Hatten Sie das auf Ihrer Rechnung?
Kistler: Wir nutzten die Aktien-quote über das ganze Jahr fast vollumfänglich aus. 90% unserer Anleihen lauten zudem auf Unternehmen. Wir basieren die Investitionsentscheide auf unserem eigenen Research, welcher die echte Qualität schon seit Jahren viel höher einstuft, als es die grossen Rating-Agenturen tun.
Hotz: Da wir seit längerer Zeit eine Übergewichtung in Aktien halten, konnten wir von den starken Märkten überdurchschnittlich profitieren. Wir empfehlen unseren Kunden mehr Aktien, um im Gegenzug bei den Bonitäten der Anleihen keine Abstriche zu machen. Ramsch hat keinen Platz in unserer Anlagepolitik, weshalb wir vom Boom der Junk Bonds nicht profitieren konnten.

Was haben Ihre Schweizer Kunden mit einem gemischten Depot – 30 bis 50% – netto nach Kosten im letzten Jahr verdient?
Hotz: Ein Schweizer Kunde mit mittlerem Risikoprofil erzielte eine Rendite von netto 8,3 %.
Kistler: Zwischen 8 und 10%.

2013 rechnen viele Experten wieder mit einem guten Aktienjahr. Besteht überhaupt noch Kurspotenzial?
Kistler: Niemand kann treffsichere kurzfristige Börsenprognosen erstellen. Aber klar ist: Längerfristig, also über drei bis fünf Jahre, besteht ein grosses Kurspotenzial. Das tiefe Zinsniveau ist viel nachhaltiger, als der Konsens der Marktmeinungen vermutet. Unser vorsichtig ausgestaltetes Modell errechnet ein SPI-Index-Gewinnpotenzial über vier Jahre von rund 50%!
Hotz: Mit hoher Wahrscheinlichkeit werden wir uns im Jahr 2013 mit moderateren Renditen begnügen müssen. Langfristig besteht aber erhebliches Kurspotenzial. Im Gegensatz zu Anleihen oder auch Immobilien sind Aktien nach wie vor attraktiv bewertet. Allein die Dividendenrenditen erstklassiger Unternehmen betragen mehr als das Zehnfache der Zinserträge, die man mit Anleihen guter Bonität noch erzielen kann.

Fonds-Manager etikettieren 2013 bereits als erstes Nachkrisenjahr. Wie sehen Sie die grossen latenten Risiken?
Hotz: Es besteht das latente Risiko, dass die Schuldenkrise jederzeit wieder für erhebliche Verunsicherung sorgt. Denn das Vertrauen als wichtigstes Fundament des Anlegers ist noch längst nicht wiederhergestellt. Das langfristig grösste Risiko sind die kurzfristig kaum spürbaren, langfristig aber fatalen Auswirkungen der finanziellen Repression. Die hochverschuldeten Staaten sind daran, sich mit historisch tiefen Zinsen zulasten der Sparer zu sanieren. Darüber hinaus ist es eine Frage der Zeit, bis Inflation und Zinsen anziehen werden.
Kistler: Die EU steht vor fast unlösbaren Problemen historischen Ausmasses. Statt tiefgreifende Reformen strikte anzugehen, wird weitergewurstelt. Ohne Währungsreform und Moratorien ist nicht abzusehen, wie die EU-Südländer ihre Wettbewerbsfähigkeit jemals wieder auf Vordermann bringen können. Die Staatsschuldenkrise wird uns noch über viele Jahre beschäftigen und dabei das globale Wachstum dämpfen.

Stehen die Märkte also nicht am Beginn einer langen Hausse?
Kistler: Solche Schlussfolgerungen greifen zu kurz. Wir leben in zwei grundverschiedenen Welten: Die Industriestaaten sind «flop», die globalen Unternehmen top. Wir glauben an die Wohlstand bildenden Effekte der globalisierten Welt. Kernfaktoren wie fortschreitende Demokratisierung, Internet-Revolution und industrielle Technologisierung bieten den führenden Unternehmen eine hervorragende Geschäftsbasis.
Hotz: Ein solch positives Szenario schliesse ich für die Aktie absolut nicht aus. Ein Jahrzehnt mit zwei monumentalen Börsenkrisen und hoher Volatilität hat viele private und institutionelle Anleger zermürbt und aus dem Markt gedrängt. Der Anteil der Aktienanlagen an den Vermögen der Privathaushalte hat sich seit 2000 auf 6% halbiert. Das offeriert mutigen Investoren enorme Chancen. Die Risikoprämie von Aktien gegenüber Obligationen befindet sich mit 7 bis 8% auf einem historischen Höchststand. Auf die Dekade der Anleihe dürfte ein Jahrzehnt der Aktie folgen.

Was ist Ihre Aktienstrategie, wie setzen Sie diese um?
Kistler: Das Domizil einer Firma spielt in der globalisierten Welt keine Rolle mehr. Viel entscheidender ist heute die geografische Aufteilung der Tätigkeitsfelder. Wir investieren langfristig in erstklassige, agile und marktführende Unternehmen mit nachhaltiger Gewinnstabilität und sicherer Dividendenrendite. Wir legen allergrösstes Gewicht auf soliden, anhaltenden Ertragsfluss.
Hotz: Wir investieren konsequent und mit einem langfristigen Fokus direkt in die global agierenden und qualitativ herausragenden Markt-führer der wichtigsten und erfolgversprechendsten Branchen sowie in hochwertige Schweizer Nebenwerte. Die von uns sorgfältig ausgewählten Aktien verfügen über eine nachhaltige und profitable Geschäftspolitik, eine gesunde Bilanz sowie eine attraktive Dividende.

«Wir leben in zwei grundverschiedenen Welten: Industriestaaten sind ‹flop›, globale Unternehmen top.»

Viele Anleger haben Aktien gemieden. Was raten Sie denen?
Hotz: Die wichtigste Grundlage des Erfolgs ist eine qualitativ herausragende Anlagestruktur, die sich in guten und schlechten Zeiten bewähren muss. Anlegern, die im vergangenen Jahr die Hausse verpasst haben, ist zu raten, sukzessive und möglichst nach Korrekturen den Aktienanteil antizyklisch zulasten der Liquidität oder des Goldanteils zu erhöhen.
Kistler: Die Weltkonjunktur ist alles andere als stabil. Die Aktienmärkte werden sich 2013 anhaltend volatil entwickeln, womit das Halten einer gewissen Liquiditätsreserve nach wie vor sinnvoll ist. Aktien kauft man am besten, wenn es an den Märkten donnert. Wichtig für den vorsichtigen Anleger ist nicht nur der gezielte und schrittweise Aufbau eines erstklassigen Aktienportfolios, sondern auch die Dotierung des Obligationenanteils.

Notenbanken werden ihre extrem expansive Geldpolitik fortsetzen. Ist das für Anleger nur positiv?
Kistler: Die Geldspritzen der Notenbanken werden die Inflation in den nächsten Jahren kaum anheizen. Der anstehende enorme Entschuldungsprozess und ein riesiger Kapazitätsüberhang stehen dem Inflationsszenario vorderhand entgegen. Die finanzielle Repression löst keine Probleme, setzt aber falsche Anreize und schadet vor allem dem Sparer. Ganz langfristig baut sich allerdings in der EU ein Inflationsrisiko auf.
Hotz: Kurzfristig wirken diese Massnahmen wie Doping, vor allem für die Anleihen- und Immobilienmärkte, welche extrem von den tiefen Zinsen profitieren. Langfristig überwiegen hingegen die Risiken. Es ist wohl nur eine Frage der Zeit, bis die Inflationserwartungen steigen und die Notenbanken die Zinsen erhöhen müssen.

«Die erfreulichen Renditen ändern nichts daran, dass viele Vorsorgewerke Handlungsbedarf haben.»

Jetzt werden wieder strukturierte Produkte und alternative Anlagen wie Hedge-Funds, Private Equity und Immobilien empfohlen. Wird da nicht einmal mehr zu viel versprochen?
Kistler: Man darf sich aufgrund der tiefen Zinsen nicht dazu verleiten lassen, seine bewährten Anlageprinzipien über Bord zu kippen. Wir Schweizer leben in einer Zeit ohne Geldentwertung und müssen unsere Erwartungen auf der Einnahmenseite auch entsprechend anpassen.
Hotz: Wer nach all den Skandalen der letzten Jahre noch auf intransparente, hochmargige und meist wertvernichtende Hedge-Funds setzt, ist naiv oder selbst Teil der eigennützigen Verkäufergilde. Auch bei komplexen und oft überteuerten strukturierten Produkten sowie Anlagen in Private Equity ist grösste Vorsicht geboten. Zwischen den vollmundigen Renditeversprechen der Anbieter und der Realität klafft eine grosse Lücke.

Mit den noch sicheren Staatsanleihen ist praktisch nichts mehr zu verdienen.
Hotz: Das ist in der Tat eine der grössten Herausforderungen, mit denen wir konfrontiert sind. Zwar sind wir zurzeit in Staats- und Unternehmensanleihen mit bester Bonität zugunsten der Aktienquote untergewichtet. Es gibt aber zu diesen schlicht keine Alternative, um ein risikomässig ausgewogenes Vermögen liquide und konservativ zu gestalten.
Kistler: Staatsanleihen sind schon seit einigen Jahren unattraktiv und in unseren Kundendepots kaum vertreten. Seit der Einführung der Euro-Untergrenze durch die SNB kaufen wir keine «Eidgenossen» mehr. Wir konzentrieren uns auf erstklassige Unternehmensanleihen, auch in den USA, Kanada oder Grossbritannien.

Sie sind beide auch im PK-Geschäft. Viele Kassen haben 2012 eine gute Performance erzielt – ist alles in Ordnung bei unseren Pensionskassen?
Kistler: Im abgelaufenen Jahr konnten die Reserven dank einer Jahresrendite von rund 8% weiter ausgebaut werden. Durch die unrealistisch hohen Umwandlungssätze werden die Reserven jedoch langfristig zulasten der jungen Generationen riskiert. Eine Korrektur dieser unhaltbaren Situation ist angezeigt. Auf der Anlageseite ist die Welt für uns in Ordnung.
Hotz: Die erfreulichen Renditen ändern nichts daran, dass viele Vorsorgewerke Handlungsbedarf haben. Das Zinstief wird die ganz grosse Herausforderung darstellen. Aufgrund zu hoher technischer Zins- und Umwandlungssätze wird der Deckungsgrad zu hoch ermittelt. Die Verantwortlichen werden auf Dauer nicht darum herumkommen, die Leistungen zu kürzen oder die Prämien zu Sanierungszwecken zu erhöhen.

Interview: Fritz Pfiffner


6. Januar 2013


Autoren

PRIMIN HOTZ
ist Gründer der Dr. Pirmin Hotz Vermögensverwaltungen in Baar. Die Firma hat 12 Mitarbeiter und betreut Private und Pensionskassen. Bei Hotz stiegen die verwalteten Vermögen um 12%.

ANDRE KISTLER
ist Mitbegründer der Albin Kistler AG in Zürich, die 26 Mitarbeiter hat.


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